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Inhaltsverzeichnis

Immunthrombozytopenie (ITP)

ICD-10 D69.3
Stand Oktober 2020
Dies ist nicht die aktuelle Version. Siehe: Immunthrombozytopenie (ITP)

1Zusammenfassung

Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine erworbene Thrombozytopenie, verursacht durch eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Unterschieden wird eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache erkennbar ist, von sekundären Formen, induziert z. B. im Rahmen systemischer Autoimmunerkrankungen, bei Lymphomen oder (selten) durch Medikamente. Ca. 80% der ITP-Erkrankungen sind primär, 20% sekundär.

Die Therapieindikation ist nicht allein von der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl abhängig, sondern auch von Krankheitsstadium, Krankheitsverlauf und weiteren individuellen Faktoren. Zur Erstlinientherapie werden bei Erwachsenen Kortikosteroide eingesetzt. Für die zweite und folgende Therapielinien stehen sehr unterschiedliche Therapieverfahren wie Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs), Immunsuppressiva, die Splenektomie und seit kurzem auch der SYK (Spleen Tyrosine Kinase)-Inhibitor Fostamatinib zur Verfügung. Weitere Therapien sind in fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung.

Die pädiatrische ITP unterscheidet sich in Verlauf und Prognose von der ITP des Erwachsenenalters. Je jünger das Kind ist, desto eher findet sich ein akutes Auftreten der Blutungsneigung, häufig nach einem Infekt. Die chronische ITP ist seltener als bei Erwachsenen. Bei der neu diagnostizierten ITP im Kindes- und Jugendalter ohne oder mit nur milden Blutungen ist eine medikamentöse Therapie in der Regel verzichtbar.

Die ITP ist eine seltene Erkrankung. Die Betreuung gehört in die Hand von Spezialisten.

2Einleitung und Grundlagen

2.1Definition und Basisinformation

Ein weit verbreitetes Eponym für die ITP ist der Begriff Morbus Werlhof. Er geht auf Paul Gottlieb Werlhof (1699-1767) zurück. Werlhof war Arzt in Hannover und berichtete 1735 über ein 16jähriges Mädchen, das nach einer Infektion Blutungen der Haut und Schleimhäute entwickelte (Morbus maculosus haemorrhagicus). Im angloamerikanischen Sprachraum wird außerdem auf Robert Willan (1757-1812) verwiesen, englischer Arzt und Begründer der Dermatologie, der 1802 das charakteristische und gleichzeitige Auftreten von kutaner Purpura mit Schleimhautblutungen beschrieb. Erst 1883 erkannte dann E. Krauss, dass die hämorrhagischen Symptome durch eine Thrombozytopenie hervorgerufen werden.

Das Akronym ITP steht für Immunthrombozytopenie. Der ältere Begriff Idiopathische Thrombozytopenische Purpura sollte nicht mehr benutzt werden, weil die ITP aufgrund der Erkenntnisse zur ursächlichen Dysregulation des Immunsystems nicht mehr als idiopathisch (griech. ídios páthos = Erkrankung ohne fassbare Ursache) bezeichnet werden kann. Außerdem haben viele ITP-Patienten keine Purpura, sondern nur niedrige Thrombozytenwerte.

Von einer ITP spricht man nach internationaler Übereinkunft nur, wenn die Thrombozytenzahl wiederholt unter 100 x 109/L liegt.

Zur Einteilung der Thrombozytopenien s. Tabelle 1 sowie Onkopedia Thrombozytopenie. Bei der ITP unterscheidet man eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache erkennbar ist, von sekundären Formen, bei denen die Immunthrombozytopenie durch systemische Autoimmunerkrankungen, Lymphome oder (selten) durch Medikamente angestossen wird. Ca. 80% der ITP sind primär, 20% sind sekundär.

Tabelle 1: Einteilung der Thrombozytopenien 

(1) Verminderte Thrombozytenbildung

(2) Vermehrter Thrombozytenverbrauch

  • Schädigung des Knochenmarks (Medikamente, Alkohol, Zytostatika, u.a.)

  • Infiltration und Verdrängung des Knochenmarks (hämatologische Neoplasien, seltener solide Tumoren)

  • Myelofibrose

  • Myelodysplastische Syndrome

  • Knochenmarkshypo-/aplasie, Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

  • Wiskott-Aldrich-Syndrom (auch vermehrter Verbrauch)

  • Schwerer Vitaminmangel

  • Seltene genetische Defekte: Bernard-Soulier-Syndrom, Glanzmann-Thrombasthenia, u.a.

 

  • auch bei der ITP kann die Thrombozytenbildung im Knochenmark gestört sein

Primäre Immunthrombozytopenie

  • Keine auslösende Ursache erkennbar

 

Sekundäre Immunthrombozytopenie

  • Medikamentös induzierte Immunreaktion

  • bei Autoimmunerkrankungen

  • bei Antiphospholipid-Syndrom

  • bei Immundefizienz-Syndromen (variables Immundefektsyndrom (engl. Common Variable Immunodeficiency), Autoimmun Lymphoproliferatives Syndrom (Canale-Smith-Syndrom), Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS auch gestörte Bildung)

  • Evans-Syndrom (u.a. bei Lymphomerkrankungen z.B. CLL)

  • bei Hepatitis, HIV, u.a. viralen Infektionen

  • nach Impfungen

 

Weitere immunologische Thrombozytopenien (nicht ITP)

  • Heparin-induzierte Thrombozytopenie

  • Thrombozytopenie nach GP IIb/IIIa-Inhibitor-Gabe

  • Posttransfusionelle Purpura

  • Schwangerschafts-assoziierte Thrombozytopenie

  • Neonatale Alloimmunthrombozytopenie

 

Weitere Verbrauchs-Thrombozytopenien (nicht immunologisch)

  • Mikroangiopathische Hämolytische Anämien (TTP, HUS).

  • Verbrauchskoagulopathie

  • Von Willebrand Syndrom Typ 2b

  • Massive Lungenembolie

  • Große Hämangioendotheliome (z.B. Kasabach Merritt Syndrom)

(3) Andere Thrombozytopenien

  • Thrombozytopenie bei Milzvergrößerung

  • Thrombozytenverlust bei massiver Blutung

  • Thrombozytopenie bei schweren Infektionen incl. COVID-19

(4) Probleme der Laboranalytik

  • Pseudothrombozytopenie (syn.: EDTA-Thrombozytopenie)

2.2Epidemiologie

Bei Erwachsenen liegt die ITP-Inzidenz zwischen 0,2 - 0,4 Neuerkrankungen pro 10.000/Jahr und die Prävalenz bei 0,9 - 2,6 pro 10.000.

Das mittlere Alter erwachsener ITP-Patienten wurde früher mit 50 bis 55 Jahren angegeben. In den letzten Jahren scheint es jedoch einen Trend zu einem höheren mittleren Erkrankungsalter zu geben (um die 60 Jahre).

Bei Kindern und Jugendlichen beträgt die ITP-Inzidenz 0,2 - 0,7 Neuerkrankungen pro 10.000/Jahr und die Prävalenz 0,4 - 0,5 pro 10.000. Die Prävalenz ist bei Kindern deutlich geringer als bei Erwachsenen, weil die pädiatrische ITP nur selten chronisch wird, siehe Kapitel 5.4.

Bei der pädiatrischen ITP sind Jungen häufiger als Mädchen betroffen. Im mittleren Alter erkranken häufiger Frauen. Ab dem 60. Lebensjahr überwiegen dann wieder die Männer.

Die ITP-Inzidenz ist bei Kindern im Frühjahr bis um das Doppelte höher als im Sommer.

Die ITP-Inzidenz ist bei Afroamerikanern niedriger als bei Kaukasiern. Im Asiatisch-Pazifischen Raum scheint die ITP genauso häufig zu sein wie in Europa.

Ca. 60% der erwachsenen und 20-30% der pädiatrischen ITP-Patienten entwickeln einen chronischen Verlauf, siehe Kapitel 5.4 Prognose. Legt man diese Zahlen zu Grunde, dann können für die Bundesrepublik Deutschland ~2400 Neuerkrankungen pro Jahr und ~16.000 Patienten mit chronischer ITP angenommen werden. Der Anteil der ITP-Patienten mit niedrigen Thrombozytenzahlen (<30 x 109/L) schwankt je nach Publikation zwischen 30 und 70%. Das bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland zwischen 5000 und 13.000 potenziell behandlungsbedürftige Patienten.

2.3Pathogenese

Die ITP ist nicht erblich, sie ist eine erworbene Thrombozytopenie. Ursächlich ist eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Die Immunreaktion wird von unterschiedlichen pathogenetischen Mechanismen getragen, siehe Tabelle 2 [1].

Tabelle 2: Pathomechanismen der ITP 

Autoantikörper gegen Thrombozyten

  • induzieren die Bindung von Thrombozyten an Fc-Rezeptoren und einen vermehrten Abbau in Milz und Leber,

  • induzieren die Bindung von Thrombozyten an den Ashwell-Morell Rezeptor der Leber mit anschließendem Abbau,

  • induzieren eine komplement-vermittelte Schädigung der Thrombozyten,

  • binden an Thrombozytenoberflächenrezeptoren (GP IIb/IIIa u.a.) und behindern deren Funktion.

T-Lymphozyten

  • Verminderung der regulatorischen T- Lymphozyten (TREGs) führt zu Immundysregulation,

  • direkte Schädigung von Thrombozyten durch T-Lymphozyten.

Hemmung der Thrombozytopoese

  • Schädigung der Megakaryozyten durch Autoantikörper,

  • verstärkter Abbau von Thrombopoetin,

  • verminderte Thrombopoetinbildung.

3[Kapitel nicht relevant]

4Klinisches Bild

Typische Blutungssymptome sind Petechien und Schleimhautblutungen. Viele ITP-Patienten klagen zusätzlich zur Blutungsneigung über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit („Fatigue“), bis hin zu depressiven Störungen, siehe Kapitel 6.2.8 Lebensqualität und Fatigue.

4.1Blutungssymptome

Typische Blutungssymptome sind

  • Petechien an den Beinen, weniger häufig an Rumpf und Armen,

  • Blutungen der Schleimhäute von Mund und Nase,

  • urogenitale Blutungen, verstärkte Menstruationsblutungen,

  • verstärkte Blutungen und Hämatomneigung schon bei kleinen Traumata

  • selten innere Blutungen, z.B. intrazerebrale Blutung (<1%).

Petechien sind typischerweise nicht palpabel. Eine palpable Purpura spricht eher für eine vaskulitische Ursache. Ebenfalls untypisch für die ITP sind flächenhafte Hämatome (kleinflächig: Ekchymosen, großflächig: Sugillationen) und Gelenkblutungen, diese findet man eher bei plasmatischen Gerinnungsstörungen, z.B. Hämophilie.

Bei der neu-diagnostizierten ITP haben 10% aller pädiatrischen und 20-30% aller Erwachsenen Patienten gar keine Blutungssymptome. Bei der chronischen ITP liegt der Anteil der Patienten ohne jegliche Blutungssymptome bei 30-40%.

Die Blutungsneigung bei ITP-Patienten ist geringer als bei Patienten mit einer vergleichbaren Thrombozytopenie anderer Ursache, z.B. nach Chemotherapie oder bei Myelodysplasien, Leukämien.

Ein nicht geringer Anteil von ITP-Patienten hat asymptomatische, okkulte Blutungen (Mikrohämaturie, pos. Haemoccult/iFOBT, ZNS Mikroblutungen).

4.2Weitere Symptome

ITP-Patienten haben durch immunsuppressive Therapien oder Splenektomie ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Als Folge verstärkten Blutverlustes kann sich eine Eisenmangelanämie entwickeln. Eltrombopag ist ein Eisen-Chelator und kann bei pädiatrischen ITP-Patienten zu einem Eisenmangel führen, siehe Kapitel 6.1.4.1.

Viele ITP-Patienten klagen zusätzlich zur Blutungsneigung über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit („Fatigue“), bis hin zu depressiven Störungen. Auch ein Zusammenhang zwischen ITP und kognitiven Funktionseinschränkungen wird beschrieben, siehe Kapitel 6.2.8.

5Diagnose

5.1Diagnose-Kriterien

5.2Diagnostik

5.2.1Initiale Basisdiagnostik bei Verdacht auf ITP

Die ITP ist eine Ausschlussdiagnose. Es gibt keinen Labortest und keine Untersuchung, die eine ITP „beweist“. Diagnostik und Differenzialdiagnostik erfolgen in der Regel in mehreren Schritten, siehe Tabelle 3 und Tabelle 4.

Tabelle 3: Basisdiagnostik bei Erstvorstellung und zunächst nur klinischem Verdacht auf ITP 

Diagnostik

Anmerkungen

Anamnese

aktuelle und frühere Blutungen, Infektionen, Medikamente (Gerinnungshemmer!), Alkohol, Schwangerschaft, frühere Thrombosen, Familienanamnese, Berufsanamnese

Körperliche Untersuchung

Blutungszeichen insbes. auch der Schleimhäute, Lymphknoten-, Leber‑, Milzgröße, Exantheme, etc.

Blutbild

EDTA und Citrat zum Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie; bei Aggregaten im Citratblut Verwendung von Spezialmonovetten (ThromboExact)

Blutausstrich (immer!)

Begutachtung durch einen in der Diagnostik von hämatologischen Erkrankungen erfahrenen Arzt

Gerinnungsparameter

Thromboplastinzeit (Quick-Wert), INR, aPTT, Fibrinogen

Knochenmarkdiagnostik

Immer bei atypischen Befunden, siehe Tabelle 6

Auch ohne atypische Befunde bei älteren Patienten (≥ 60 Jahre) empfohlen.

Weiteres

Untersuchung auf irreguläre erythrozytäre Autoantikörper, insbesondere bei gleichzeitiger Anämie (Ausschluss Evans-Syndrom),

Blutzucker / Urinzucker zum Ausschluss eines subklinischen Diabetes mellitus vor evtl. Glukokortikoidtherapie

Urinuntersuchung auf Blut, Stuhltest auf Blut.

Zur Erstdiagnostik nicht nur der ITP, sondern grundsätzlich jeder Thrombozytopenie, gehört bei Erwachsenen wie bei Kindern und Jugendlichen zwingend die Begutachtung des Blutausstriches durch einen in der Diagnostik von hämatologischen Erkrankungen erfahrenen Arzt. Eine Thrombotische Mikroangiopathie (TMA) ist eine wichtige Differenzialdiagnose.

5.2.2Weiterführende Diagnostik bei persistierender oder chronischer ITP

Bei persistierender oder chronischer ITP müssen weitere Differenzialdiagnosen erwogen werden, siehe Tabelle 4.

Tabelle 4: Weiterführende Diagnostik 

Diagnostik

Begründung, Konsequenz

Blutgruppentestung

Für Notfall-Pass, vor operativen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko.

Knochenmarkpunktion

siehe Tabelle 6

Blutzucker/Urinzucker

Ausschluss eines subklinischen Diabetes vor erneuter/fortgesetzter Glukokortikoid-Therapie.

Serum-Elektrophorese und/oder Serum-Immunglobuline

Ausschluss von Immundefekt-Syndromen (z.B. Common Variable Immunodeficiency), eines Myeloms.

Autoimmundiagnostik (CCP-Antikörper, ANA, ANCA, anti-DS-DNA, Antiphospholipid-AK, Lupus Antikoagulans)

Ausschluss einer sekundären ITP im Rahmen anderer Immunerkrankungen.

Thrombozytenglykoprotein-spezifische Autoantikörper

Bei Patienten mit persistierender Thrombozytopenie, wenn Zweifel an der Diagnose ITP bestehen (nur hilfreich, wenn positiv).

von Willebrand-Faktor Multimer-Analyse

Bei von Willebrand Syndrom Typ 2b können mäßige bis schwere Thrombozytopenien auftreten.

Schilddrüsendiagnostik

Bis zu 10% der ITP-Patienten haben Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse und müssen ggf. behandelt werden.

H. pylori-Testung

siehe Kapitel 5.2.2.3

Hepatitis B, C, HIV-Serologie

Falls positiv, Erkrankungs- bzw. Reaktivierungs-Risiko im Falle einer immunsuppressiven Therapie oder vor Splenektomie

Sonographie, Röntgen, CT erwägen

Ausschluss solider Tumor, Lymphom u.a. hämatologische Erkrankung. Bei vergrößerter Milz an M. Gaucher denken.

Der Nachweis von ANA, Antiphospholipid-Antikörpern und Lupus Antikoagulanz ist von prognostischer Relevanz, weil bei diesen Patienten Thrombosen häufiger auftreten, siehe Kapitel 6.2.7. Der Nachweis von Schilddrüsen-Antikörpern hat keine Konsequenzen für die ITP.

Bei einigen Patienten zeigt die Sonographie eine vergrößerte Milz. Dann muss neben Erkrankungen der Leber und Lymphomen (Haarzell-Leukämie, Marginalzonenlymphom u.a.) auch an die seltene Differenzialdiagnose einer Stoffwechselerkrankung, z.B. eines M. Gaucher oder eines M. Niemann-Pick Typ B gedacht werden. Diese Erkrankungen können sich z.T. auch erst im Erwachsenenalter manifestieren, Hinweisend für M. Gaucher sind erhöhtes Ferritin und erhöhtes Angiotensin-Converting-Enzym, beweisend die erhöhte Chiotriosidase- und die erniedrigte β-Glukozerebrosidaseaktivität.

5.2.2.1Untersuchung auf Thrombozyten-Autoantikörper (Übersicht bei [2])

Der Nachweis von Thrombozyten-Autoantikörpern vom Typ IgG gehört nicht zur Routine-Diagnostik der neu-diagnostizierten ITP, sondern sollte Patienten mit persistierender bzw. chronischer ITP und atypischem Krankheitsverlauf vorbehalten bleiben. Neben Autoantikörpern vom Typ IgG können selten auch solche anderer Immunglobulinklassen (IgM, IgA) beobachtet werden.

Die IgG-Autoantikörper bei ITP sind spezifisch gegen einzelne Glykoproteine auf dem Thrombozyten gerichtet (vor allem IIb/IIIa und Ib/IX, seltener auch GPV) und führen zur Phagozytose in Milz und Leber. Der direkte glykoproteinspezifische Test aus EDTA-Blut (z.B. MAIPA = Monoclonal Antibody Immobilisation of Platelet Antigens Test) hat eine Spezifität von ca. 98%. Ein positives Resultat kann beitragen, die Diagnose ITP zu sichern, bzw. andere Differenzialdiagnosen auszuschließen, siehe Tabelle 5. Falsch positive Tests kommen selten bei myelodysplastischen Syndromen und Lymphomen vor.

Ein negatives Resultat im glykoproteinspezifischen Test ist nur von geringer Bedeutung und schließt die ITP nicht aus. Die Sensitivität der Methode liegt lediglich bei ca. 63%. Ob eine wiederholte Testdurchführung die Sensitivität verbessert, ist nicht bekannt.

Nur Autoantikörper gegen Glykoproteinrezeptor-Antigene unterstützen die Diagnose einer primären oder sekundären ITP. Antikörper gegen HLA-Antigene auf Thrombozyten sind im klinischen Alltag viel häufiger (z.B. nach Thrombozytentransfusion) und haben nichts mit der ITP zu tun.

Tabelle 5: Indikation für Untersuchung auf Thrombozytenautoantikörper 

Minimale oder völlig fehlende Ansprache auf Kortikosteroide oder i.v. Immunglobuline

Differenzialdiagnose ITP vs. medikamentös-toxische Knochenmarkschädigung (z.B. bei chron. Alkohol-Abusus).

Differenzialdiagnose ITP vs. hereditäre Thrombozytopenie

Differenzialdiagnose ITP vs. Thrombozytopenie bei Lebererkrankungen, Splenomegalie

Bei Schwangeren Differenzialdiagnose ITP vs. Gestationsthrombozytopenie bei Thrombozytenwerten im „Graubereich“ zwischen 50.000 bis 100.000/µl (siehe Kapitel 6.2.5 Schwangerschaft)

5.2.2.2Knochenmarkpunktion

Die ITP-Diagnose kann durch eine Knochenmarkpunktion nicht belegt werden. Die Aufgabe der Knochenmarkpunktion ist es, alternative Diagnosen auszuschließen. Bei typischen klinischen Befunden kann eine Knochenmarkpunktion in der Regel entfallen.

Myelodysplastische Syndrome und idiopathische Zytopenien unbestimmter Signifikanz (ICUS) können leicht mit einer ITP verwechselt werden, zumal diese Entitäten bei über 60jährigen mit fast gleicher Inzidenz auftreten.

Eine Anhebung der Thrombozytenzahl vor der Punktion ist nicht notwendig. Auch bei niedrigsten Thrombozytenwerten sind Blutungen sehr selten und können in der Regel durch verlängerte Kompression kontrolliert werden.

Tabelle 6: Indikation zur Knochenmarkpunktion 

Neben der Thrombozytenzahl sind auch andere Laborwerte, insbesondere Leukozyten- und Erythrozyten-Parameter verändert.

Anamnese (z.B. B-Symptome, Gewichtsverlust) und körperliche Untersuchungsbefunde (z.B. vergrößerte Lymphknoten, Hepatosplenomegalie), die nicht typisch für eine ITP sind.

Patienten ≥ 60 Jahre wegen der zunehmenden Häufigkeit alternativer Diagnosen: Lymphome, Myelodysplastische Syndrome, Idiopathische Zytopenien Unbestimmter Signifikanz, Plasmozytom u.a.

Vor Splenektomie, um vor diesem irreversiblen Eingriff alternative Diagnosen mit größter Sicherheit auszuschließen.

Erwägen: Bei einem kleinen Teil der mit Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten behandelten Patienten kommt es zu einer meist geringen Retikulin- und Kollagenfaservermehrung im Knochenmark. Einzelne Experten empfehlen deshalb eine Knochenmarkpunktion vor dem Beginn eine Therapie mit Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten, um den Fasergehalt festzulegen, siehe dazu auch Kapitel 6.1.4.1

5.2.2.3Helicobacter pylori

Alle erwachsenen Patienten mit ITP, insbesondere bei persistierendem oder chronischem Verlauf, sollen auf H. pylori untersucht und bei positivem Nachweis eradiziert werden.

5.3Klassifikation

Die Klassifikation der ITP erfolgt nach Schweregrad und Verlauf.

5.3.1Schweregrad

Die Behandlung der ITP orientiert sich wesentlich an der klinischen Blutungsneigung. Zur Einschätzung der Blutungsschwere wurden in der Vergangenheit zahlreiche Blutungs-Scores entwickelt. Sie werden regelmäßig im Rahmen wissenschaftlicher Studien eingesetzt. Der Nachteil dieser Scores ist der hohe Zeitaufwand, der ihre Anwendung im “eng getakteten” Praxisalltag begrenzt. Deshalb wird zumindest bei Erwachsenen weiter eine Orientierung an den WHO Blutungsgraden oder den National Cancer Institute Common Terminology Criteria for Adverse Events empfohlen, siehe Tabelle 7. Sie sind in der klinischen Praxis etabliert, den meisten Ärzten nicht-hämatologischer Fachrichtungen geläufig und haben sich auch bei ITP-Patienten bewährt.

Für pädiatrische Patienten wird in der aktuellen AWMF-Leitlinie [3] der modifizierte Buchanan Score empfohlen, siehe Tabelle 8.

Tabelle 7: Blutungsgrade entsprechend WHO und NCI Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE v5.0) 

WHO Blutungsgrad

Definition

0

keine Blutungszeichen

I

Petechien

kleine Hämatome, Ekchymosen (< 10 cm)

Schleimhautblutungen (Mund, Nase)

Epistaxis (< 1 Std. Dauer, keine ärztliche Intervention notwendig)

subkonjunktivale Blutungen

vaginale Blutungen (unabhängig von Menstruation, nicht mehr als 2 Binden / Tag notwendig)

II

(nicht

transfusionspflichtig)

Hämatome, Ekchymosen (> 10 cm)

Epistaxis (> 1 Std. Dauer oder Tamponade notwendig)

retinale Blutungen ohne Visusverminderung

vaginale Blutungen (unabhängig von Menstruation, mehr als 2 Binden / Tag notwendig)

Melaena, Hämatemesis, Hämoptysen, Hämaturie, Hämatochezie

Blutungen aus Punktionsstellen

Blutungen in Muskel und Gelenke

III

(transfusionspflichtig)

Epistaxis

Schleimhautblutungen (Mund, Nase)

vaginale Blutungen

Melaena, Hämatemesis, Hämoptysen, Hämaturie, Hämatochezie

Blutungen aus Punktionsstellen

Blutungen in Muskel und Gelenke

IV

(Gefahr von Dauerschäden, lebensbedrohlich)

retinale Blutungen mit Visusverminderung

ZNS Blutungen

andere Organblutungen, die die Funktion der betroffenen Organe (Gelenke, Muskulatur, Niere, Lunge, etc.) gefährden

letale Blutungen (in den NCI CTCAE als Blutungsgrad V bezeichnet)

.

Tabelle 8: modifizierter Buchanan Score für pädiatrische ITP-Patienten 

Grad

Blutungszeichen

0

Keine

Keine frischen Blutungszeichen

1

Geringfügig

Wenige Petechien (<100) und /oder < 5 kleine Hämatome

(<3cm Durchmesser).

Keine Schleimhautblutungen

2

Mild

Viele Petechien und >5 große Hämatome

(Durchmesser >3cm)

3a

Moderat

niedriges Risiko

Mundschleimhautblutungen, Blutkrusten in den Nasenlöchern, milde Epistaxis, Dauer <5min

3b

Moderat

hohes Risiko

Epistaxis >5 min, Makrohämaturie, rektale Blutungen, schmerzhafte Mundschleimhautblutungen, signifikante Menorrhagie

4

Schwer

Schleimhautblutungen oder Blutungen innerer Organe (Gehirn, Lunge, Muskulatur, Gelenke), mit Notwendigkeit zur umgehenden medizinischen Versorgung oder Intervention

5

Lebensbedrohlich

Nachgewiesene intrakranielle Blutung oder lebensbedrohliche, tödliche Blutung jeder Lokalisation.

5.3.2Stadieneinteilung und Therapieziele

Weil sich Therapie und Therapieziele mit der Krankheitsdauer und Schwere ändern, wurde die traditionelle Zweiteilung in „akute“ und „chronische“ ITP verlassen, eine Einteilung in drei Krankheits- und Therapiephasen entwickelt und von den Leitlinien übernommen, siehe Tabelle 9.

Tabelle 9: Stadieneinteilung und Therapieziele 

Stadium

Definition

Therapieziel

neu diagnostiziert

bis zu 3 Monate nach Diagnosestellung,

Spontanremissionen sind noch häufig.

Blutungsstillung und Kuration,

bei kurzer Therapiedauer unter Inkaufnahme von Nebenwirkungen.

persistierend

zwischen 3 und 12 Monaten nach Diagnosestellung,

Spontanremission sind weniger häufig,

Blutungsstillung und Kuration,

da Therapie häufiger längerfristig, sind Nutzen und Nebenwirkungen stärker gegeneinander abzuwägen.

chronisch

mehr als 12 Monate nach Diagnosestellung,

eine spontane Remission ist jetzt nicht mehr wahrscheinlich.

Blutungsstillung und Kuration,

Lebensqualität, ggf. unter Inkaufnahme einer chronischen Thrombozytopenie.

Therapie nur bei schwereren Blutungen zwingend, bei oligo- o. asymptomatischen Patienten auch „Watch&Wait“ möglich.

Anmerkung: Vor 2009 wurde nur zwischen „akuter“ und „chronischer“ ITP unterschieden und die Grenze bei 6 bis 12 Monaten gezogen.

Viele erwachsene ITP-Patienten haben jedoch, wenn man älterer Blutbilder habhaft werden kann, schon Monate, z.T. auch Jahre vorher leicht erniedrigte Thrombozytenwerte oder die Patienten berichten, dass sie schon längere Zeit vermehrte Hämatome beobachten, dem aber zunächst keine Bedeutung beigemessen haben. Die Definition „neu-diagnostiziert“, „persistierend“ und „chronisch“ sollte jedoch weiterhin nicht an der Symptom-Dauer, sondern vom Zeitpunkt der Diagnosestellung abhängig gemacht werden.

5.4Prognostische Faktoren

Bei der ITP des Erwachsenen hat man bisher einen langfristigen, chronischen Verlauf über mehrere Jahre oder sogar lebenslang postuliert. Heute weiß man, dass ein Drittel bis zwei Drittel der chronischen ITP-Patienten eine partielle oder komplette Remission erreichen, zum Teil noch nach vielen Jahren. Dies hat Auswirkungen auf die Therapiewahl, z.B. auf die Entscheidung, eine Splenektomie zu empfehlen oder noch abzuwarten, siehe Kapitel 6.1.4.3. Es gibt keinen Marker, der verlässlich einen chronischen Verlauf vorhersagen könnte.

Bei der pädiatrischen ITP gibt es prognostische Faktoren für Spontanremission (Alter, vorangehende Infektionskrankheit, Thrombozytenwert und Blutungsstärke bei Diagnose). Die Wahrscheinlichkeit einer Remission ist höher bei Kindern, die jünger sind als 10 Jahre sind. Keine oder milde Blutungssymptome sind mit einem höheren Risiko für chronische ITP assoziiert.

Noch vor etwas mehr als 10 Jahren wurde das Risiko schwerer Blutungen mit 3% bei Kindern und über 70% bei älteren Erwachsenen (>60 Jahre) angegeben, das Risiko tödlicher Blutungen mit 0% bzw. 13%. Durch Zurückhaltung bei der Steroidtherapie und die neuen Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten ist die Prognose in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Die Mortalität liegt in aktuellen pädiatrischen Studien unverändert bei 0%, bei Erwachsenen hat sie sich halbiert auf 0-7%. Prognostische Faktoren und Risikoindikatoren sind in Tabelle 10 zusammengefasst.

Tabelle 10: Prognose und Risikoindikatoren 

Eher selbstlimitierender Verlauf

Eher chronischer Verlauf

Erhöhtes Risiko schwerer Blutungen

Kinder, Jugendliche,

Beginn nach Infekt,

plötzlicher Beginn,

klinisch ausgeprägte Blutungsneigung,

schnelle Therapieansprache.

Erwachsene, insbes. > 60. LJ,

Keine vorausgehende Erkrankung eruierbar,

Schleichender Beginn,

geringe Blutungsneigung oder Zufallsbefund bei asymptomatischen Patienten,

keine oder nur geringe Ansprache auf Erstlinientherapie.

Alter > 60 Jahre,

Thrombozyten < 20 - 30 x 109/L,

Infektion, Fieber,

Hämaturie,

multiple Hämatome,

Schleimhautblutungen („Wet Purpura“),

Anamnestisch schwere Blutungen,

Fehlende Ansprache auf Kortikosteroide,

Autoantikörper gegen mehrere statt gegen nur ein Thrombozytenantigen.

Bei Kindern: modif. Buchanan Score ≥3

5.5Differenzialdiagnose

5.5.1Übersicht

Bei persistierender oder chronischer ITP müssen weitere Differenzialdiagnosen erwogen werden, siehe Tabelle 11.

Tabelle 11: Differenzialdiagnose bei V.a. ITP 

Differenzialdiagnose

Anamnese, typische Befunde

Wurde eine Pseudothrombozytopenie bereits ausgeschlossen?

1-5‰ aller Blutproben

Hereditäre Thrombozytopenie

Familienanamnese, Untersuchung des Blutausstriches und MPV, ob sehr große (Bernard-Soulier-Syndrom, MYH9-assoziierte Syndrome, u.a.) oder kleine Thrombozyten (Wiskott-Aldrich-Syndrom), etc.

Medikamenten-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese, Testung auf Medikamenten-abhängige Thrombozyten-Antikörper.

Zytostatika-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese (nicht nur auf „klassische“ Zytostatika, auch moderne molekulare und immunologische Anti-Tumor-Wirkstoffe, zunehmend beobachtet auch bei Immun-Checkpoint-Inhibitoren, siehe Kapitel 6.2.4)

Virustatika-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese

Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)

Anamnese und HIT-Labordiagnostik

Posttransfusionelle Purpura

Kurz zurückliegende Bluttransfusionen

Schwangerschaftsassoziierte-Thrombozytopenie

Nur schwangere Patientinnen, meist über 80 x 109 Thrombozyten/L

Lymphome

Anamnese, B-Symptome, Sonographie der Lymphknotenstationen, Milzgröße, evtl. Knochenmarkpunktion

Infektionen (Viren, Bakterien, Parasiten)

SARS-CoV-2, HIV, CMV, EBV, Röteln, Parvovirus B19, Hantaviren, u.a. Bakteriologische Untersuchungen, Blutkultur bei V.a. Sepsis, Blutausstrich, bei V.a. Malaria

Lebererkrankungen

Leberwerte, Hepatitis-Serologie, Zirrhosediagnostik

Splenomegalie mit Hypersplenismus

zahlreiche Ursachen, häufig Leberzirrhose, Infektionen, hämatol. Erkrankungen s.u. (isolierte Milzvergrößerung z.B. bei Haarzell-Leukämie, Marginalzonen-Lymphom), auch an M. Gaucher denken

Alkoholabusus

Alkohol ist direkt knochenmarktoxisch und kann die Thrombozytenzahl ohne gleichzeitiges Vorliegen eines Vitaminmangels, einer Leberzirrhose und/oder Splenomegalie senken.

Schwere Vitaminmängel (B12, Folsäure)

Labordiagnostik

Andere Autoimmunerkrankungen

Labordiagnostik für Lupus eryth., Rheumatoide Arthritis, Antiphospholipid-Syndrom, Autoimmun-Thyreoiditis, u.a. Autoimmun-Syndrome.

Evans-Syndrom

Anämie, positiver direkter Antiglobulin-Test

Hämatologische Systemerkrankungen (Akute Leukämie, myeloproliferative Syndrome, Myelodysplasie, Idiopathischen Zytopenie Unbestimmter Signifikanz, Plasmozytom, Lymphome, CVID, Autoimmun-lymphoproliferatives Syndrom, aplastische Anämie, paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, Graft versus Host Erkrankung)

In der Regel mit Veränderung auch anderer Blutzellreihen und/oder der Serum-Immunglobuline, Knochenmarkpunktion evtl. mit Durchflusszytometrie, Molekular- und Zytogenetik.

Bei Kindern ist die ALL die wichtigste DD der neu-diagnostizierten ITP!

Thrombotisch Thrombozytopenische Purpura und Hämolytisch Urämisches Syndrom

Meist weitere Symptome: Fieber, Hämolyse, Niereninsuffizienz, neurologische Symptome etc., ADAMTS13 Bestimmung

von Willebrand Syndrom Typ 2b

Von Willebrand Faktor Analyse incl. Multimeranalyse, Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation (RIPA)

Verbrauchskoagulopathie

Veränderung weiterer Gerinnungsparameter

Große Hämangiome (z.B. Kasabach-Merritt-Syndrom), große Aneurysmen

Klinisches Bild

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Autoimmunerkrankungen (SLE), Medikamente und die CLL die drei häufigsten Ursachen einer sekundären ITP sind. Medikamente, Myelodysplasien und Lebererkrankungen sind die drei häufigsten Differenzialdiagnosen, die mit einer ITP verwechselt werden [4].

5.5.2Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie

Diese ist die wichtigste Differenzialdiagnose der ITP und kann manchmal nur durch wiederholte Anamnese ausgeschlossen werden. Dabei müssen auch naturheilkundliche und nicht-rezeptpflichtige Medikamente erfragt werden. Die Inzidenz wird mit 0,1 pro 10.000 pro Jahr angegeben. Gerade bei den in den letzten Jahren neu in die onkologische Therapie eingeführten Checkpoint-Inhibitoren, sollte man auf Thrombozytopenien achten. In der Regel hat die medikamenteninduzierte ITP einen akuten Verlauf. Nach Absetzen des Medikamentes erholt sich die Thrombozytenzahl rasch wieder. Eine aktuelle Liste von Arzneistoffen, für die medikamenteninduzierte Thrombozytopenien beschrieben wurden, findet sich unter http://www.ouhsc.edu/platelets/ditp.html (geprüft 19.9.2020).

5.5.3Zyklische Thrombozytopenie

Die zyklische Thrombozytopenie ist eine seltene Differenzialdiagnose. Typisch sind die periodischen Schwankungen der Thrombozytenzahl, meist in einem 3-5 Wochen-Abstand. Die Diagnose ergibt sich aus dem Verlauf der Thrombozytenwerte. Der zugrunde liegende Pathomechanismus ist unbekannt. Überwiegend sind Frauen betroffen. Die üblichen ITP-Therapien sind unwirksam. Einige wenige Patienten sprechen auf Rituximab oder Cyclosporin A an. Die Prognose ist unklar; Lymphome oder die sekundäre Entwicklung einer Leukämie wurden beschrieben.

6Therapie

6.1Therapiestruktur

Die Therapieindikation soll nicht allein von der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl abhängig gemacht werden. Krankheitsstadium, Krankheitsverlauf und weitere individuelle Faktoren sind zu berücksichtigen. Ein Algorithmus zur Therapiesequenz bei Patienten mit Immunthrombozytopenie ist in Abbildung 1 dargestellt. Für pädiatrische Patienten siehe auch Kapitel 6.1.3.2. Die Leitlinien der American Society of Hematology und des Internationalen Expertenkonsensus wurde im letzten Jahr ebenfalls aktualisiert und bei den folgenden Onkopedia-Empfehlungen berücksichtigt [56].

Abbildung 1: Algorithmus zu Therapieempfehlungen bei Immunthrombozytopenie 
1watch&wait – abwartendes und beobachtendes Verhalten
2watch&wait in der Erstlinientherapie bei Thrombozyten <20-30.000/µl und fehlender oder minimaler Blutungsneigung kein Therapiefehler, wenn nach ausführlicher Aufklärung Kortikosteroide vom Patienten weiterhin abgelehnt.
3TRA – Thrombopoetin-Rezeptor-Agonist (Eltrombopag, Romiplostim)
4bei schweren Blutungen WHO Grad III oder IV, siehe auch Kapitel 5.3.1;
5Zulassung beachten: Eltrombopag „off-label“ bei Erkrankungsdauer kürzer als 6 Monate, Romiplostim und Fostamatinib “off-label“ bei Erkrankungsdauer kürzer als 12 Monate;
6Splenektomie möglichst erst nach dem 12. Monat empfehlen;
7Zulassungsstatus siehe ITP Zulassung

Arzneimittel und Dosierungen finden sich im Anhang ITP Therapieprotokolle, Informationen zum Zulassungsstatus in ITP Zulassungsstatus.

6.1.1Therapieindikation

Bei der Entscheidung zur Behandlung müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden:

  • die klinische Blutungsneigung,

  • Thrombozytenzahl,

  • Krankheitsstadium (neu-diagnostizierte vs. persistierende vs. chronische ITP),

  • bisheriger Krankheitsverlauf und Blutungsanamnese,

  • Therapienebenwirkungen,

  • Konsequenzen für Ausbildung und Beruf (Berufsunfähigkeit vermeiden),

  • Patientenalter, Nebenerkrankungen, Begleitmedikation (insbes. Antikoagulanzien),

  • Zugang zu ambulanter und stationärer fachärztlicher Versorgung,

  • Erfahrung des betreuenden Arztes / der Klinik in der Therapie der ITP,

  • Patientenpräferenz, Gesundheitskompetenz, psychosoziale Situation,

  • bei Kindern und Jugendlichen stärkerer Bewegungsdrang, deshalb besondere Berücksichtigung des Verletzungsrisikos in Kindergarten, Schule, Freizeitaktivitäten.

Die Auflistung bedeutet keine Rangfolge, grundsätzlich sind alle Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen eine Therapie zu berücksichtigen.

6.1.2Thrombozytenschwellenwert

Das Blutungs- und Mortalitätsrisiko steigt, wenn eine Thrombozytenzahl von 30 x 109/L unterschritten wird, jedoch bestehen große individuelle Schwankungen. Die traditionelle Annahme eines Thrombozytenschwellenwertes, bei dessen Unterschreiten jeder Patient behandelt werden muss und bei dessen Überschreiten keine Therapieindikation mehr besteht, ist nicht evidenzbasiert.

Die Indikationsstellung allein nach der Thrombozytenzahl, ohne Berücksichtigung individueller Patientenfaktoren ist obsolet.

Je länger die ITP andauert, desto weniger relevant werden die Thrombozytenzahlen bei der Indikationsstellung zur Therapie. Die Nebenwirkungen der Behandlung müssen gegen den Nutzen abgewogen werden. In späteren Therapielinien wird zwar in der Regel eine Therapie angeboten, aber auch bei niedrigsten Werten kann eine „Watch & Wait“ Strategie verfolgt werden, solange der Patient nicht oder nur gering blutet und wenn er nach Aufklärung mit diesem Vorgehen einverstanden ist. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass man dem Patienten auch bei wiederholten Rezidiven eine Therapie nicht verwehren sollte, wenn er diese explizit wünscht. Bei unklarer Behandlungssituation sollte die Vorstellung in einem Zentrum mit Expertise in der Behandlung von ITP-Patienten angeboten werden.

6.1.3Erstlinientherapie

6.1.3.1Kortikosteroide

Kortikosteroide wirken immunsuppressiv und die gängige Vorstellung ist, dass sie die Bildung von Thrombozytenantikörpern hemmen. Zahlreiche ältere Studien zeigten, dass bei den allermeisten Erwachsenen mit Kortikosteroiden ein Anstieg der Thrombozytenzahl erreicht werden kann. Nach Absetzen der Kortikosteroide fallen die Thrombozyten bei Erwachsenen jedoch in der Regel wieder ab; dauerhafte Remissionen sind selten. In älteren Publikationen werden sie mit 5-6% angegeben. Die hohe Rezidivrate spricht dafür, dass Kortikosteroide nur die Krankheitsschwere abmildern, den Krankheitsverlauf aber nicht abkürzen.

In der Vergangenheit richteten sich viele Behandler bei der Dosierung von Kortikosteroiden nach dem McMillan Schema (Predniso(lo)n mit 1 mg/kg/d starten, dann langsam, über mehrere Monate „ausschleichen“). Doch lange Steroidtherapien erreichen keine Verbesserung der Remissionsrate und es gibt praktisch keinen Patienten, der während dieser langen Zeit nicht belastende Glukokortikoid-Nebenwirkungen entwickelt, siehe Tabelle 12. Deshalb wird heute eine deutlich kürzere Therapiedauer bevorzugt. Sie sollte nicht unter 3 Wochen liegen, aber auch nicht länger als 6 Wochen sein [56]. Dosierung siehe ITP Therapieprotokolle. Zur Minderung des Osteoporose- und Frakturrisikos durch Kortikosteroide hat die British Society of Haematology Empfehlungen publiziert (British Society of Haematology Good Practice Paper und Tabelle 13).

Tabelle 12: Nebenwirkungen von Kortikosteroiden und vorbeugende Maßnahmen 

Nebenwirkungen

Vorbeugende Maßnahmen

Akne

Blutdruckerhöhung

Cushingoider Habitus (Mondgesicht)

Dünne, atrophische Haut, Striae

Erhöhungen der Blutzuckerwerte

Gewichtszunahme

Infektionen

Magenbeschwerden

Muskelschwund

Osteoporose

Schlaflosigkeit

Stimmungsschwankungen

Aufklärung über Nebenwirkungen und Therapiefahrplan mit Dauer und Dosis

Ernährungsberatung

Antibiotikagabe zur Infektprophylaxe in der Regel nicht indiziert (Ausnahme: Pneumocystis Prophylaxe mit Cotrimoxazol bei Steroidtherapie ab kumul. Gesamtdosis > 340 mg Prednisolon/-äquivalent, s. auch Tabelle 13)

Protektion Protonenpumpenhemmer

Osteoporoseprophylaxe siehe Tabelle 13

Tabelle 13: Empfehlungen zur Osteoporoseprophylaxe bei ITP Patienten 

Risikoabschätzung

Hohes Risiko

  • ≥70 Jahre,

  • Postmenopausale Frauen und Männer ≥ 50 Jahre mit osteoporotischen Frakturen in der Vorgeschichte,

  • Steroidtherapie ≥7,5 mg Prednisolon für 3 Monate (≥ Kumulativdosis 682 mg).

Bei allen anderen:

Beispielrechnungen für kumulative Steroiddosis

Prednisolon: 1 mg/kg (70 kg) für 1 Woche, dann Ausschleichen nach McMillan Schema → 2520 mg

Dexamethason: 40 mg/d für 4 Tage, 2 Zyklen → Prednisolonäquivalenzdosis 2133 mg

Allgemeine Maßnahmen

Beratung aller Patienten die Kortikosteroide bekommen über Maßnahmen, die das Osteoporoserisiko vermindern können,

Alkohol, Nikotin vermeiden,

Sport,

Bestimmung von Serum-Calcium und Vitamin-D Spiegeln,

Sicherung ausreichender Vitamin D (800 IU/d) und Calcium-Supplementierung (700-1200 mg/d).

Medikamentöse Prophylaxe

Bei Patienten mit hohem Osteoporose- und Fraktur-Risiko Gabe von Bisphosphonaten (z. B. Alendronat, Risedronat).*

* Alendronat in D nur für Frauen zugelassen, Risedronat für Männer und Frauen

6.1.3.1.1Prednison versus Dexamethason

Dexamethason wurde erstmals in den 90er Jahren bei der therapierefraktären, chronischen ITP eingesetzt. Mehrere nicht-randomisierte Studien zeigten in den Folgejahren, dass Dexamethason auch bei neu-diagnostizierter ITP gut wirksam ist. Spezifische Effekte auf T-Regulatorische Lymphozyten und Myeloide Suppressorzellen wurden beschrieben. Zwei randomisierte Studien mit allerdings nur geringen Patientenzahlen zeigten höhere Langzeitremissionsraten bei der Erstlinientherapie mit Dexamethason im Vergleich zu Prednison, zur Dosierung, siehe ITP Therapieprotokolle. Andere Studien fanden keinen Unterschied in der Langzeitremissionsrate, aber ein schnelleres Ansprechen mit Dexamethason und damit eine geringere Steroid-Gesamtbelastung [7]. Cushingoide Veränderungen sind unter Dexamethason nicht so häufig wie mit Prednison. Die Entscheidung zwischen Predniso(lo)n und Dexamethason sollte der Expertise des Arztes vorbehalten bleiben.

6.1.3.2Kinder und Jugendliche [3

Die pädiatrische ITP unterscheidet sich in Verlauf und Prognose von der ITP des Erwachsenenalters. Bisher ist kein Standard zur Therapie der chronischen ITP bei Kindern und Jugendlichen definiert worden. Deshalb sollten die Patienten in Zentren mit pädiatrisch-hämatologischer Expertise betreut werden.

Je jünger das Kind ist, desto eher findet sich ein akutes Auftreten der Blutungsneigung, häufig nach einem Infekt. Meist ist die Thrombozytopenie aber nur vorübergehend und chronische Verläufe sind seltener als bei Erwachsenen. Je älter das Kind desto eher ähnelt der Verlauf dem des Erwachsenenalters („schleichendes“ Auftreten, keine Infektanamnese, häufig chronischer Verlauf mit leichteren Blutungen). Die Indikation zur Therapie wird unter Berücksichtigung der Blutungszeichen, der Thrombozytenzahl und individueller Risikofaktoren des Patienten gestellt.

Zur Erstlinienbehandlung gehören nebst Beobachtung ohne Medikamente ggf. auch die Therapie mit Kortikosteroiden und Immunglobulinen. Bei der neu diagnostizierten ITP im Kindes- und Jugendalter ist die medikamentöse Therapie jedoch häufig verzichtbar [3]. Schleimhautblutungen und Blutungen höher als 3b nach dem modifiziertem Buchanan Blutungsscore (siehe Tabelle 8) stellen eine Indikation dar. Die Thrombozytenzahlen sind grundsätzlich nicht das entscheidende Kriterium für die Behandlung der neu diagnostizierten pädiatrischen ITP [3]. Individuelle Gesichtspunkte wie Alter, Verletzungsanfälligkeit und psychosoziale Aspekte sollen mitberücksichtigt werden.

Retrospektive Studien und Registerdaten, die sowohl behandelte als auch unbehandelte Kinder umfassen, beschreiben eine Inzidenz von ~3% für schwere bis lebensbedrohliche Blutungen. Besonders gefürchtet sind intrakranielle Blutungen, deren Inzidenz beträgt<1%. In der Regel liegen die Thrombozytenzahlen zum Zeitpunkt der Blutung bei 20 x 109/L oder darunter. Die betroffenen Kinder haben im Vorfeld häufig Schleimhautblutungen (Mund, Nase, pharyngeale Blutungen – „Wet Purpura“), insbesondere bei Hämaturie ist Vorsicht geboten.

Bei schweren Blutungen sollten bevorzugt i.v. Immunglobuline und bei lebensbedrohlichen Blutungen zusätzlich Kortikosteroide, Thrombozytenkonzentrate gegeben werden.

Bei geringem oder fehlendem Therapieansprechen sollte die Diagnose erst recht hinterfragt und der Patient – wenn noch nicht erfolgt - in einem Zentrum mit ausgewiesener hämatologischer Expertise vorgestellt werden. Die wichtigste Differenzialdiagnose der neu-diagnostizierten ITP im Kindesalter ist die Akute Lymphatische Leukämie.

Therapieempfehlungen bei Kindern und Jugendlichen mit neu aufgetretener ITP sind in Tabelle 14 zusammengefasst.

Tabelle 14: Erstlinientherapie bei Kindern und Jugendlichen mit neu aufgetretener ITP 

Blutungsgrad

(Risiko)*

Blutungszeichen

Therapieempfehlung

0 bis 2 - niedrig

Keine frischen Blutungszeichen bis zu vielen Petechien und >5 große Hämatome (>3cm)

Beobachtung

3a - moderat niedrig

Mundschleimhautblutungen, Blutkrusten in den Nasenlöchern, milde Epistaxis, Dauer <5 min

Keine Regelvorgabe möglich, individualisierte Therapieentscheidung.

Unter Berücksichtigung der (i) Thrombozytenwerte, (ii) Verletzungsrisiko, (iii) Infektion, Fieber, (iiii) soziale Aspekte.

3b - moderat hoch

Epistaxis >5 min, Hämaturie, rektale Blutungen, schmerzhafte Mundschleimhautblutungen, signifikante Menorrhagie

Prednison 4 mg/kg/d an 4 Tagen oder/ und IVIG 0.8-1g/kg/d an 1 (- 2) aufeinanderfolgenden Tagen.

Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20-25 mg/kg/d in 3 Einzeldosen p.o.

Bei Hypermenorrhoe ggf. hormonelle Therapie, gynäkologisches Konsil.

4 - hoch

Schleimhautblutungen oder Blutungen innerer Organe (Gehirn, Lunge, Muskulatur, Gelenke).

Umgehende medizinische Intervention notwendig.

Prednison 2-4 mg/kg/d an 4 Tagen und IVIG 0.8-1g/kg/d an 2 aufeinanderfolgenden Tagen

Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20 -25 mg/kg/d in 3 Eeinzeldosen p.o.

Bei Hypermenorrhoe ggf. hormonelle Therapie, gynäkologisches Konsil.

5 - lebensbedrohlich

Nachgewiesene intrakranielle Blutung oder lebensbedrohliche Blutung jeder Lokalisation

oder Notfall-OP

Gleichzeitig:

(1) Thrombozytenkonzentrate, wiederholte Transfusionen, höhere Dosierungen, wegen verkürzter HWZ.

(2) Methylprednisolon 30 mg/kg KG i.v. (max. 1 g) an 3 aufeinanderfolgenden Tagen

(3) IVIG 0.8- 1g/kg/d an 2 aufeinanderfolgenden Tagen

(4) Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20-25 mg/kg/d in 3 Einzeldosen p.o.oder 10-20 mg/kg/d i.v.

Als Ultima Ratio operative Verfahren, Notfallsplenektomie

bei zerebralen Blutungen ggf. Entlastungskraniotomie

* Blutungsgrad gem. modifiziertem Buchanan Score für pädiatrische ITP-Patienten, siehe Tabelle 8)
6.1.3.3Therapie von Notfällen

Bei schweren und lebensbedrohlichen (WHO °III/IV) Blutungen oder vor nicht aufschiebbaren Operationen werden neben Kortikosteroiden zusätzlich i.v. Immunglobuline zur schnellen Anhebung der Thrombozytenzahl empfohlen, siehe Kapitel 6.1.3.3.1. Bei lebensbedrohlichen Blutungen sollten zusätzlich Thrombozytenkonzentrate gegeben werden, siehe Kapitel 6.1.3.3.3.

Bei lebensbedrohlichen Blutungen kann, wenn die o.g. Maßnahmen keine Blutstillung erreichen und auch wenn es dafür keine Evidenz gibt, die zeitnahe Gabe von Rituximab und Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten erwogen werden, siehe Kapitel 6.1.3.3.4.

6.1.3.3.1Intravenöse Immunglobuline

Intravenös applizierte Immunglobuline blockieren die Phagozytose von antikörperbeladenen Thrombozyten und führen zu einem raschen, aber meist nur kurzfristigen Thrombozytenanstieg. Sie erreichen keine anhaltenden Remissionen. Nach 2-4 Wochen fallen die Werte in der Regel wieder auf das Ausgangsniveau. Dadurch beschränkt sich die Indikation von IVIG auf Situationen, in denen ein schneller Thrombozytenanstieg erreicht werden muss (Blutungen, nicht-aufschiebbare Operationen) oder wenn höher-dosierte Kortikosteroide vermieden werden sollen, z.B. Schwangerschaft, siehe Kapitel 6.2.5.

6.1.3.3.2Notfalltherapie mit Anti-D-Immunglobulinen

In den 80er Jahren wurde Anti-D-Immunglobulin erstmals zur Behandlung der chronischen ITP eingesetzt. Anti-D bindet an Rh-positive Erythrozyten. Die Antikörper-beladenen Erythrozyten werden in der Milz phagozytiert. Bei ITP-Patienten wird dadurch der Abbau von Antikörper-beladenen Thrombozyten kompetitiv gehemmt und die Thrombozytenzahl steigt. Deshalb ist Anti-D nur bei Rh-positiven Patienten wirksam und auch nur, wenn die Milz noch nicht entfernt wurde. Das Präparat WinRho wurde Ende der 90er Jahre mit der Indikation ITP für den europäischen Markt zugelassen, 2009 wegen Fällen von schwerer intravasaler Hämolyse aber wieder vom Markt genommen. Es ist in anderen Ländern (z.B. USA) aber noch erhältlich.

Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz erhältlichen Anti-D-Präparate (Rhophylac®, Rhesonativ®, u.a.) wurden zwar in der Vergangenheit auch schon bei ITP eingesetzt, die arzneimittelrechtliche Zulassung ist jedoch auf die Prophylaxe des M. haemolyticus neonatorum beschränkt.

6.1.3.3.3Notfalltherapie mit Thrombozytenkonzentraten, Rituximab, Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten

Bei schweren Blutungen (WHO °III, °IV) kann mit Thrombozytenkonzentraten ein kurzfristiger Anstieg der Thrombozytenzahl und ein Sistieren der Blutung erreicht werden. Meist reichen dazu nicht die üblichen 1-2 Konzentrate. Bei diesen zum Glück seltenen Notfällen beginnt man gleichzeitig auch mit Kortikosteroiden und Immunglobulinen. Bei schwersten Blutungen kann auch der zusätzliche Einsatz von Rituximab und die frühzeitige Gabe von Thromobopoetin-Rezeptor-Agonisten erwogen werden. Eine Stimulation der Thrombozytenantikörper-Bildung durch die Thrombozytengabe wurde bisher nicht beobachtet.

6.1.3.3.4Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs) bei Patienten mit neu-diagnostizierter oder persistierender ITP

TRAs waren zunächst nur für die chronische ITP, d.h. für Patienten mit einer Erkrankungsdauer über 12 Monaten zugelassen. Man muss jedoch berücksichtigen, dass die Festlegung des Begriffes chronische ITP auf Verläufe von länger als 12 Monaten, erst 2009 erfolgte, nachdem TRAs bereits arzneimittelrechtlich zugelassen waren. In den TRA-Zulassungsstudien waren deshalb auch viele Patienten mit deutlich kürzeren Krankheitsverläufen, die man nach heutiger Einteilung als neu-diagnostizierte oder persistierende ITP bezeichnen würde. Tatsächlich zeigen TRAs bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer <12 Monaten eine mindestens gleich gute, wenn nicht sogar bessere Wirksamkeit (mehr therapiefreie Remissionen) als bei Patienten mit einer Erkrankungsdauer über 12 Monaten.

Deshalb kann die Anwendung von TRAs bei Patienten, die auf eine Erstlinientherapie nicht ansprechen, auch dann indiziert sein, wenn die Gesamterkrankungsdauer noch kein ganzes Jahr beträgt und das formale Kriterium der chronischen ITP nach heutiger Definition nicht erfüllt ist. 2019 wurde die Zulassung von Eltrombopag auf Patienten mit einer Erkrankungsdauer ab 6 Monaten erweitert.

Die Anwendung von TRAs in der Erstlinientherapie bei Patienten, die bisher noch gar keine medikamentöse Therapie hatten, ist „off-label“ und auf Studien beschränkt.

6.1.4Zweitlinientherapie

Wenn die Erstlinientherapie nach 2-4 Wochen gar kein Ansprechen zeigt, dann sollte man zügig auf eine Zweitlinientherapie umstellen. Das gilt auch, wenn die Erstlinientherapie schlecht vertragen wird oder wenn sie zunächst anspricht, es dann aber zeitnah doch wieder zu einem Rezidiv kommt. Wie in der Erstlinientherapie gibt es keinen Thrombozytenschwellenwert, bei dessen Unterschreitung eine Zweitlinientherapie angeboten werden muss, bzw. bei dessen Überschreitung auf eine Therapie grundsätzlich verzichtet werden kann. Die Indikation zur Behandlung ist immer eine individuelle Entscheidung. Dabei sind die gleichen Faktoren zu berücksichtigen, wie bei der Indikation zur Erstlinientherapie, siehe Kapitel 6.1.1.

Wenn die Erstlinientherapie anspricht, es aber länger als nach 6 Monaten zum Rezidiv kommt, dann kann man noch einmal diese Erstlinientherapie probieren, sofern sie initial ohne relevante Nebenwirkungen gut vertragen wurde, siehe Abbildung 1.

Im Unterschied zur Erstlinientherapie tritt bei der Zweitlinientherapie und auch bei den weiteren Therapielinien die Lebensqualität und Vermeidung von Nebenwirkungen immer mehr in den Vordergrund. Während bei neu-diagnostizierter ITP alle Therapieversuche darauf ausgerichtet sein sollten, eine Kuration zu erreichen, ist mit zunehmender Krankheitsdauer eine dauerhafte Remission immer unwahrscheinlicher, und der potentielle Nutzen einer Therapie muss gegen die Nebenwirkungen abgewogen werden.

Grundsätzlich sollten alle Behandlungsoptionen inkl. einer „Watch & Wait“ Strategie angeboten werden. Die Patientenpräferenz ist zu berücksichtigen.

Folgende Strategie hat sich als praktikabel erwiesen:

  • Bei Patienten mit fehlender oder minimaler Blutungsneigung (WHO °0 bis °I) (siehe Tabelle 7) kann nach Versagen der Erstlinientherapie eine Zweitlinientherapie angeboten werden, auch ein Therapieverzicht oder eine „Watch & Wait“ Strategie sind möglich. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich viele dieser Patienten mit geringer oder gänzlich fehlender Blutungsneigung angesichts des als bedrohlich empfundenen Blutungsrisikos für eine Zweitlinientherapie entscheiden.

  • Bei Patienten mit mittelschweren Blutungen (WHO °II) kann eine Therapie angeboten werden. Die individuelle Belastung durch die Blutungssymptome muss berücksichtigt werden, Alternative ist eine „Watch & Wait“ Strategie. Die Erfahrung zeigt auch hier, dass sich viele dieser Patienten angesichts des als bedrohlich empfundenen Blutungsrisikos für eine Zweitlinientherapie entscheiden.

  • Bei Patienten mit WHO °III oder °IV-Blutungen besteht immer eine Therapieindikation unabhängig von der Thrombozytenzahl. Eine stationäre Aufnahme wird empfohlen.

ITP Patienten haben eine Lebensqualität, die der von Krebspatienten nahekommt, z.T. sogar schlechter ist. Dies gilt besonders zu Anfang der Erkrankung, wenn Blutungssymptome noch häufig sind und wenn der Patient bzw. seine Angehörigen erst lernen müssen, mit der Thrombozytopenie umzugehen. Es wird der Situation von ITP-Patienten deshalb nicht gerecht, wenn man den Therapieerfolg allein an der Blutungsneigung und Thrombozytenzahl festmacht.

6.1.4.1Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs)

Bis Anfang der 90er Jahre war man der Meinung, dass es keinen Sinn mache, bei einer Erkrankung mit erhöhtem Thrombozytenumsatz wie der ITP die Thrombozytopoese noch weiter zu stimulieren. Dann fand man jedoch, dass bei ITP-Patienten die Thrombopoetinspiegel im Vergleich zu gesunden Menschen zwar erhöht, aber nicht so hoch sind, wie bei anderen Erkrankungen mit vergleichbarem Thrombozytenmangel. Man spricht deshalb von einem relativen Thrombopoetinmangel. Ausgehend von dieser Beobachtung wurden die TRAs Romiplostim und Eltrombopag entwickelt. Romiplostim (Nplate®) ist seit 2009 in der EU zugelassen [89], Eltrombopag seit 2010 (in der EU unter dem Handelsnamen Revolade®, in den USA und anderen Ländern heißt das Präparat PromactaTM) [101112]. Beide Wirkstoffe haben in umfangreichen Studien gezeigt, dass sie bei vielen Patienten mit chronischer ITP die Thrombozytenzahl in einen sicheren Bereich steigern können. Daten der Zulassungs- und weiterführender Studien können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • Der Zielbereich der Thrombozytenzahl ist 50-150 x 109/L, d.h. eine Normalisierung der Thrombozytenzahl wird nicht angestrebt.

  • Bei über 90% der Patienten wird zumindest ein kurzfristiges Ansprechen erreicht.

  • Die Zahlen zum langfristigen Ansprechen schwanken zwischen 30 und 90%. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Patientenkollektive und Definitionen in den Studien z.T. stark unterschieden.

  • TRAs sind bei Patienten mit und ohne Splenektomie wirksam.

  • TRAs sind bei Erwachsenen und Kindern wirksam.

  • Eltrombopag und Romiplostim unterscheiden sich in der Applikationsweise und bei einigen Nebenwirkungen, siehe Tabelle 15. Bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit ist jedoch keines dem anderen überlegen.

  • Eltrombopag und Romiplostim sind nicht kreuzresistent, d.h. wenn der eine TRA nicht ausreichend wirksam ist, kann durchaus der andere noch ansprechen.

  • Die Thrombozytenzahl sollte nicht über 250 x 109/L ansteigen.

  • Die Thrombozytenzahl sollte anfangs wöchentlich, dann alle 4 Wochen kontrolliert werden. Bei stabilen Werten und gesundheitskompetenten Patienten reichen sicher auch Quartals- oder Halbjahreskontrollen

  • Bei erhöhten Serum-Thrombopoetinspiegeln scheinen sowohl Eltrombopag als auch Romiplostim weniger gut wirksam zu sein. Eine TPO-Spiegelbestimmung vor Rezeptierung von TRAs wird jedoch nicht empfohlen, da die angegebenen Grenzwerte nicht validiert und von der Testmethode abhängig sind und weil es selbst bei TPO-Spiegeln über diesen Grenzwerten immer noch einige Ansprecher gibt.

  • Ca. die Hälfte der Patienten können unter TRAs alle anderen ITP-Medikamente (z.B. Kortikosteroide) absetzen.

  • TRAs sind längerfristig deutlich besser verträglich als Kortikosteroide oder andere ITP-Therapien. Weitere Daten zu den TRAs sind in Tabelle 15 zusammengefasst:

Tabelle 15: Applikation und Nebenwirkungen von TRAs 

Arzneimittel

Eltrombopag

Romiplostim

Applikation

oral

subkutan

Kopf-, Gelenk-, Muskelschmerzen

X

X

Magenbeschwerden

X

X

Symptome der oberen Luftwege (10-26%)

X

X

Arterielle und venöse Thrombosen

X

X

Portalvenenthrombose

X

X

Leberwerterhöhung

X

Gastrointestinale Nebenwirkungen (Obstipation, Nausea, Übelkeit, Diarrhoe)

X

(X)

Hautveränderungen (Juckreiz, Rötung, makulopapulöses Exanthem)

X

Überschießender Abfall der Thrombozyten nach Absetzen von TRA

X

X

Blastenvermehrung bei MDS

X

X

Antikörperbildung

X

Interaktion mit HMG-CoA-Reduktasehemmern

X

Gestörte Eisenresorption, Eisenmangel

X

Retikulinfaservermehrung bei ca. 2%-11% der Patienten*

X

X

*Die bei einigen Patienten beschriebene Retikulinfaservermehrung im Knochenmark unter TRAs scheint nur in den wenigsten Fällen klinisch relevant zu sein. Es gibt keine evidenzbasierten Empfehlungen, wie häufig unter TRAs eine Knochenstanze zur Kontrolle auf eine Retikulinfaservermehrung durchgeführt werden sollte. Wenn man vor Beginn einer TRA Therapie ohnehin eine Knochenmarkpunktion durchführt, um alternative Diagnosen auszuschließen, dann sollte man den Fasergehalt mitbestimmen lassen.

Zu Medikamenteninteraktionen verweisen wir auf die Onkopedia Leitlinie Arzneimittelinteraktionen.

Beim abrupten Absetzen von Romiplostim oder Eltrombopag kann es zu einem überschießenden Abfall der Thrombozytenzahl unter die Ausgangswerte kommen. Deshalb soll nach dem Absetzen die Thrombozytenzahl noch für mindestens 4 Wochen nachkontrolliert werden, siehe ITP Therapieprotokolle.

Als dritter TRA wurde Avatrombopag (Doptelet®) im Juni 2019 zugelassen zur Behandlung einer schweren Thrombozytopenie bei erwachsenen Patienten mit chronischer Lebererkrankung, bei denen ein invasiver Eingriff geplant ist [1314]. Es liegen auch Daten zur Wirksamkeit von Avatrombopag einer kleinen Phase-3-Studie bei der chronischen ITP vor, in der 49 Patienten im Verhältnis 2:1 für Verum vs Placebo randomisiert wurden [15]. Die Auswertung der Studienendpunkte zeigte ein stabiles Ansprechen bei 34,4% der Patienten unter Avatrombopag versus 0% unter Placebo. Stabiles Ansprechen war definiert durch Thrombozyten >50x109/L über 6 Monate. Die EU Zulassung von Avatrombopag wurde beantragt.

Tabelle 16 fasst Eigenschaften der zugelassenen TRAs und von Fostamatinib vergleichend zusammen [1617].

Tabelle 16: Vergleich von TRAs und dem neuen SYK-Inhibitor Fostamatinib bei der Therapie der ITP, die gegenüber anderen Behandlungen refraktär ist [17]. 

Romiplostim

Eltrombopag

Fostamatinib

Molekülstruktur

Peptid

„small molecule“

„small molecule“

Angriffsort

Extrazelluläre Domäne des TPO-Rezeptors

Transmembranöse Domäne des TPO-Rezeptors

Spleen Tyrosin Kinase

Applikation

s.c.

p.o.

p.o.

Nahrung

Kein Einfluss

Einfluss

Kein Einfluss

Zulassung

Chron. ITP bei Patienten ab 1 Jahr oder älter, die gegenüber anderen Therapien refraktär sind (z. B. Kortikosteroide, Immunglobuline). Erweiterung auf ITP mit Erkrankungsdauer unter 12 Monaten beantragt.

Patienten ab Alter 1 Jahr und älter mit primärer ITP, wenn diese 6 Monate oder länger nach Diagnosestellung andauert und die Patienten gegenüber anderen Therapien refraktär sind (z. B. Kortikosteroide, Immunglobuline).

Chron. ITP bei erwachsenen Patienten, die gegenüber anderen Behandlungsarten therapieresistent sind.

6.1.4.1.1Unzureichendes Ansprechen auf Zweitlinientherapie mit TRAs

In letzter Zeit beschreiben einige Autoren, dass bei unzureichendem Ansprechen auf eine TRA-Monotherapie die Kombination mit einem niedrig dosierten Steroid dann doch noch einen Thrombozytenanstieg erreichen kann [18]. Dies wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass bei der ITP wahrscheinlich eine Kombination mehrerer Pathomechanismen für die Thrombozytopenie verantwortlich ist (z.B. verstärkter Abbau plus gestörte Neubildung). Wenn man mit einer Therapie, die nur einen dieser Pathomechanismen beeinflusst keinen ausreichenden Erfolg hat, kann die Kombination mehrerer Wirkprinzipen durchaus erfolgreicher sein (s. Kapitel 2.3, Pathogenese)

6.1.4.1.2Therapiefreie Remissionen und Absetzen von TRAs

Es gibt immer mehr Berichte, dass nach dem Absetzen von TRAs die Thrombozytenzahl bei einigen Patienten nicht wieder abfällt. Übersichtsarbeiten nennen Remissionszahlen von 13% bis 30%. Wenn die Thrombozyten längere Zeit im Zielbereich sind, kann ein Absetzversuch unternommen werden. Wichtig ist, dass TRAs nicht abrupt, sondern langsam über viele Monate ausgeschlichen werden. Die Remissionsrate scheint umso höher zu sein, je früher im Verlauf einer ITP die TRAs verordnet wurden. In Abbildung 2 der Vorschlag für ein Absetzprotokoll in Anlehnung an die Empfehlungen der Italienischen ITP-Expertengruppe.

Abbildung 2: Absetzschema  
* Es gibt bisher keinen Konsens, wie lange die Thrombozytenzahl vor einem Absetzversuch stabil im Zielbereich eingestellt sein sollte. Die Angaben in der Literatur schwanken zwischen 4 und 12 Monaten. Die hier angegebenen 6 Monate stammen aus der aktuellen Publikation von Zaja et al. [19];
** Solange die Thrombozytenzahl nach der Dosisreduktion nicht wieder unter 30 x 109/L abfällt (nicht unter 50 x 109/L, wenn die Patienten sonst Blutungen entwickeln) reduziert man weiter.
6.1.4.2Fostamatinib

Fostamatinib ist ein neuer („first in class“) Wirkstoff aus der Klasse der SYK-Inhibitoren (Spleen Tyrosine Kinase). SYK spielt bei der Signaltransduktion, der Phagozytose und dem Abbau von Erythrozyten (Autoimmunhämolyse) und Thrombozyten (ITP) in der Milz eine wichtige Rolle.

Aktuelle Studien zeigen, dass Fostamatinib bei der ITP gut wirksam ist [20212223]. In den beiden Zulassungsstudien wurden insgesamt 150 Patienten mit ITP und mindestens 1 Vorbehandlung im Verhältnis 2:1 für Fostamatinib vs Placebo randomisiert. Die gepoolte Analyse zeigte ein stabiles Ansprechen bei 43% der Patienten unter Fostamatinib versus 14% unter Placebo. Stabiles Ansprechen war definiert durch Thrombozyten >50x109/L über die ersten 12 Wochen.

Fostamatinib wurde im Januar 2020 in der EU unter dem Handelsnamen Tavlesse® zugelassen, die Markteinführung erfolgte im Juli 2020. Fostamatinib ist zugelassen zur Behandlung der chronischen Immunthrombozytopenie (ITP) bei erwachsenen Patienten, die gegenüber anderen Behandlungsarten therapieresistent sind. Die Zulassung von Fostamatinib ist nicht auf die primäre ITP beschränkt.

Daten zum direkten Vergleich der Wirksamkeit von Fostamatinib mit anderen Arzneimitteln, insbesondere den TRA, liegen bisher nicht vor.

Die häufigsten Nebenwirkungen in den Zulassungsstudien waren Diarrhoe, arterielle Hypertonie, Übelkeit, Erhöhung der GPT und Neutropenie. Da Fostamatinib bzw. R406 hauptsächlich durch CYP3A4 abgebaut werden, haben CYP3A4 Inhibitoren oder Induktoren Einfluss auf die Wirksamkeit, siehe Onkopedia Leitlinie Arzneimittelinteraktionen.

6.1.4.3Splenektomie

Die Splenektomie erzielt bei der Behandlung der ITP die höchste Rate an dauerhaften Remissionen in dem Sinne, dass keine weitere Behandlung notwendig ist. Zwei Drittel der Patienten erreichen eine partielle oder komplette Remission. TRAs erreichen noch höhere Remissionsraten, wenn man nur das Ansprechen der Thrombozytenzahl betrachtet. Wenn sie dann aber abgesetzt werden, fallen in der Regel die Thrombozyten wieder ab.

Es besteht eine klare Indikation zur Splenektomie für alle Patienten mit persistierender oder chronischer Thrombozytopenie und schweren Blutungen WHO °III der IV, die ein ungenügendes Ansprechen auf alle anderen, bisherigen Therapiemodalitäten aufweisen. Bei dringlicher Therapieindikation, wie z.B. einer lebensbedrohlichen Blutung, die nicht auf Steroide und/oder i.v. Immunglobuline anspricht, ist die Notfallsplenektomie die Therapie der Wahl, weil die alternative Gabe von TRAs oder Rituximab nicht ad hoc die Thrombozytenzahl anhebt, sondern Zeit braucht (häufig > 1 Woche).

Es besteht keine zwingende Indikation zur Splenektomie für Patienten mit chronischer, therapieresistenter ITP, die keine, leichte oder nur mittelschwere Blutungen (WHO °0, I, II) haben, auch wenn deren Thrombozytenzahlen < 30 x 109/L liegen. Hier muss individuell entschieden werden.

Vor der Splenektomie wird zur zusätzlichen Diagnosesicherung eine Knochenmarkpunktion empfohlen, siehe Kapitel 5.2.2.2. Dies gilt insbesondere bei atypischem Verlauf, z.B. fehlendes Ansprechen auf Kortikosteroide und Immunglobuline, und/oder bei Patienten > 60 Jahre. Alle Patienten sollten präoperativ gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae B und Meningokokken geimpft werden. Nach Splenektomie ist auch bei jüngeren Personen auf eine regelmäßige Grippeimpfung zu achten, siehe auch Onkopedia Leitlinie Prävention von Infektionen und-Thrombosen nach Splenektomie oder bei funktioneller Asplenie und die Empfehlungen von ‚Asplenie-Net‘ (https://asplenie-net.org/). Risiken und Kontraindikationen der Splenektomie sind in Tabelle 17 zusammengefasst.

Tabelle 17: Splenektomie: Risiken und Kontraindikationen 

Risiken

Faktoren und Anmerkungen

Post-operative Morbidität

ca. 10%, vor allem Wundinfektionen, Pneumonien

Post-operative Mortalität

<1%, bei älteren Patienten durchaus höher

Overwhelming Post Splenectomy Infection (OPSI)

3fach erhöht

Postoperative Thrombozytose

bei >1000 x 109 Thrombozyten/L ASS oder niedermolekulares Heparin erwägen

Venöse Thromboembolien

ITP Patienten haben per se ein erhöhtes VTE-Risiko (s. Kapitel 6.2.7), das durch eine Splenektomie weiter ansteigen kann

Pulmonale Hypertonie

Inzidenz nach Splenektomie 0.4% in 5 Jahren. Bei Splenektomie für ITP jedoch möglicherwteise seltener als bei anderen hämatol. Erkrankungen (SS-Anämie, Thalassämie, hämolyt. Anämien).

Aktive Infektionen

insbes. Tuberkulose

Heute wird nur noch bei wenigen ITP-Patienten eine Splenektomie durchgeführt. Dafür ist nur zum Teil die Sorge vor den mit einer Splenektomie verbundenen Risiken und Nebenwirkungen verantwortlich. Weitere wichtige Gründe sind:

  • Nur ~60% der Patienten erreichen eine dauerhafte Remission, d.h. der Rest erleidet kurz oder im längeren Verlauf nach Splenektomie einen Rückfall der Erkrankung. Diese Zahlen stammen überwiegend aus der Zeit vor Einführung der TRAs. Es ist deshalb nicht klar, ob die heutigen ITP-Patienten, die einer Splenektomie bedürfen, weil sie auf TRAs nicht ansprechen, nicht als therapieresistenter zu werten sind und möglicherweise eine geringere Ansprechrate als 60% haben.

  • Es ist bisher nicht möglich vorherzusagen, welcher Patient auf eine Splenektomie ansprechen wird und welcher nicht. Eine Versagensrate von 40% oder mehr ist für viele Patienten nicht akzeptabel. Der Internationale Consensus-Report empfiehlt die Splenektomie auch nur, wenn der Abbau radioaktiv markierter Thrombozyten vorwiegend in der Milz erfolgt. Diese Empfehlung kann jedoch aufgrund widersprüchlicher Daten bisher nicht als verbindlich betrachtet werden. Auch wenn die Szintigraphie zeigt, dass die Thrombozyten primär nicht in der Milz abgebaut werden, hat die Splenektomie immer noch eine Erfolgsrate von 35-50%. Bei diesen Zahlen würde man einem blutenden Patienten, bei dem alle anderen Therapien bisher nicht angesprochen haben, wahrscheinlich nicht von der Splenektomie abraten. Insofern sollte man die Entscheidung für oder gegen die Splenektomie weniger vom Ergebnis einer Thrombozytenszintigraphie als von der klinischen Gesamtsituation abhängig machen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur noch wenige nuklearmedizinische Abteilungen, die eine Thrombozytenszintigraphie anbieten.

Es scheint keinen Unterschied zu machen, ob die Splenektomie laparoskopisch oder mit Laparotomie durchgeführt wird. Hier kommt es primär auf die Expertise des Operateurs an. Zur Anhebung der Thrombozytenzahl im Vorfeld der Splenektomie werden IVIG, Steroide und ggf. auch Thrombozytenkonzentrate gegeben.

6.1.4.4Splenektomie-aufschiebende Therapie

Viele Patienten lehnen die Splenektomie ab und fragen nach sog. Splenektomie-aufschiebenden oder Splenektomie-ersetzenden medikamentösen Therapien. Dies ist z.T. damit begründet, dass in anderen Ländern medikamentöse Therapiealternativen wie Rituximab vor der Splenektomie eingesetzt werden können. Aufgrund der bis zum Ablauf des ersten Erkrankungsjahres häufigen spontanen Remissionen ist das Hinausschieben der Operation aber auch medizinisch sinnvoll und wird von den Leitlinien empfohlen. Die Möglichkeit der medikamentösen Therapie mit Rituximab (Kapitel 6.1.4.6.1) vor Splenektomie sollte auf jeden Fall mit dem Patienten diskutiert werden.

Während in den europäischen Gesundheitssystemen die meisten Patienten mit chronischer ITP eine 2nd Line Therapie mit TRAs, Fostamatinib oder Rituximab (off-label) bevorzugen hat die Splenektomie insbesondere in den USA, wo Patienten einen erheblichen Teil der Behandlungskosten selber tragen müssen, oder in Ländern mit finanziell weniger gut aufgestelltem Gesundheitssytem aufgrund ihrer geringeren „financial Toxicity“ ihre Attraktivität behalten. Splenektomie und TRAs, Fostamatinib, aber auch Rituximab sind keine medizinisch gleichwertigen, gegeneinander austauschbaren Therapieoptionen. Die Entscheidung kann aufgrund der unterschiedlichen Behandlungsmodalitäten (Operation vs. nicht-immunsuppressive, medikamentöse Dauertherapie vs. auf wenige Wochen begrenzte, allerdings immunsuppressive, Infusionstherapie) nur nach entsprechender Information und Aufklärung des Patienten erfolgen. Eine Berücksichtigung der Patientenpräferenz ist zwingend notwendig. Patienten, die Wert auf die Vermeidung von medikamentösen Langzeittherapien legen, kann die Splenektomie angeboten werden. Patienten, die eine Operation vermeiden möchten, sollten nach TRAs und Fostamatinib vor der Entscheidung zur Splenektomie Rituximab erhalten, siehe Abbildung 1: Algorithmus zu Therapieempfehlungen bei Immunthrombozytopenie. Die Bevorzugung einer Therapiemodalität über die andere aus ökonomischen Erwägungen ist abzulehnen.

6.1.4.5Kinder und Jugendliche

Eltrombopag und Romiplostim sind bei Kindern und Jugendlichen mit chronischer ITP wirksam. Unter Eltrombopag wird insbesondere bei hohen Dosierungen ein Transaminasenanstieg beobachtet. Bisher wurden keine schweren Nebenwirkungen wie neutralisierende Antikörper oder Myelodysplasien berichtet. Bei einigen wenigen Kindern fand sich eine leichte und reversible Retikulinfaservermehrung Grad I-II, systematische Untersuchungen wurden hierzu nicht durchgeführt. An weiteren Nebenwirkungen wurden Infekte der oberen Luftwege und Fieber im Zusammenhang berichtet.

Die Splenektomie sollte bei Kindern vermieden werden. Sie kann jedoch bei therapieresistenter ITP und ständigen klinisch relevanten Blutungen als Ultima Ratio diskutiert und individuell abgewogen werden.

In der Pädiatrie hat sich die antifibrinolytische Therapie mit Tranexamsäure insbesondere bei Schleimhautblutungen bewährt. Durch die Gabe des Fibrinolyseinhibitors Tranexamsäure kann bei leichten oralen Schleimhautblutungen, bei Menorrhagien und im Rahmen von Zahneingriffen häufig eine ausreichende Blutstillung erreicht werden.

6.1.4.6Drittlinientherapie

Für zahlreiche Arzneimittel wurde eine Wirksamkeit bei der ITP nachgewiesen, in der Regel in Fallserien. Optionen sind in Tabelle 18 zusammengestellt.

Tabelle 18: Arzneimittel in der Drittlinientherapie der ITP  

Arzneimittel

Anmerkungen

Azathioprin

Üblicherweise kombiniert man initial Azathioprin und Steroide, um nach einigen Wochen die Steroid-Dosis langsam zu reduzieren („Steroid-Sparing Agent“).

Neutropenien sind häufig (ca. 30%), die Leukozytenzahl muss regelmäßig (zu Beginn z.B. alle 2-4 Wochen) kontrolliert werden.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 3-4 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Azathioprin muss während einer Schwangerschaft nicht abgesetzt werden.

Ciclosporin

Ciclosporin A wird als Monotherapie oder in Kombination mit Prednison eingesetzt. Die niedrigeren Dosen scheinen besser verträglich und nicht weniger wirksam zu sein. Ein CSA-Zielspiegel von 150 bis 400 ng/ml wird angestrebt.

Häufige Nebenwirkungen sind Erschöpfung, Schwäche, Niereninsuffizienz, Hypertonie, Neuropathie

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Cyclophosphamid

Cyclophosphamid wird als Monotherapie oder in Kombination mit Prednison eingesetzt. Die Dosis muss an die Leukozytenzahl angepasst werden.

Neben den hämatologischen Nebenwirkungen sowie Übelkeit und Erbrechen wurden seltene Fälle von Blasenkrebs und sekundärer Leukämie beschrieben. Die Fertilität kann eingeschränkt sein.

Danazol (off-label)

Danazol ist ein modifiziertes Androgen und bei längerfristiger Therapie muss auf die Leberfunktion geachtet werden. Bei Frauen sollte es nicht gegeben werden (Virilisierung).

Weitere Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Myalgien, Haarverlust.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Dapson (off-label)

Dapson ist ein vor über 100 Jahren synthetisiertes Sulfon.

Bei Patienten aus mediterranen Ländern und besonders bei Afrikanern und Afroamerikanern muss ein Mangel oder Defekt der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase vorher ausgeschlossen werden.

Die Therapie spricht langsam an und ist in der Regel erst nach 4-6 Wochen zu erwarten. Danach sollte versucht werden, die Dosis zu reduzieren.

Hydroxychloroquin (off-label)

Hydroxychloroquin hat multiple Wirkungen auf das Immunsystem. Es wurde in Studien bei ITP Patienten gegeben, die einen positiven Nachweis von ANA oder einen gesicherten SLE hatten.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt. Meist kombiniert man Hydroxychloroquin zunächst mit Steroiden, um nach einigen Wochen die Steroid-Dosis langsam zu reduzieren („Steroid-Sparing Agent“).

Hydroxychloroquin wird besonders in Ländern mit begrenzten Resourcen des Gesundheitssystems zur Therapie der ITP angeboten.

Mycophenolat-Mofetil (off-label)

Zur besseren Verträglichkeit beginnt man in der Regel mit einer niedrigen Dosis und steigert dann langsam.

Häufig sind gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen

Rituximab (off-label)

Rituximab ist vor und nach Splenektomie wirksam, siehe auch Kapitel 6.1.4.6.1

Kinder scheinen etwas besser anzusprechen als Erwachsene. Rückfälle treten bei Kindern nur in den ersten Jahren auf, bei Erwachsenen auch später.

Frauen und Mädchen scheinen auf Rituximab besser anzusprechen als Männer und Jungen. Dies mag am unterschiedlichen Metabolismus von Rituximab liegen.

ITP-Patienten, bei denen die Erkrankung noch nicht so lange besteht, scheinen auch besser anzusprechen.

Wichtige Nebenwirkungen sind Infusionsreaktion mit Schwäche, Übelkeit, Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen sind häufig (ca. 60%), in der Regel mild und meist nur während der ersten Infusion (deshalb Prämedikation mit Kortikosteroid); erhöhtes Infektionsrisiko

Die Reihenfolge der o.g. Therapien impliziert keine Präferenz. Die Entscheidung muss individuell getroffen werden. Zusätzliche Informationen zur Dosierung finden sich in ITP Therapieprotokolle und in ITP Zulassung.

Man muss berücksichtigen, dass Azathioprin, Cyclophosphamid und Vinca-Alkaloide nur „Altzulassungen“ zur Behandlung der ITP haben. Das bedeutet, dass diese Präparate nicht nach heutigen „Good-Clinical-Practice“- und „Evidence-Based-Medicine“ Standards untersucht wurden und dass ihre Zulassung eher auf Tradition als auf Studiendaten beruht. Sie sollten deshalb nur gegeben werden, wenn modernere, besser untersuchte Wirkstoffe wie TRAs und Rituximab nicht wirksam sind. Auch ist der Anteil dauerhafter Remissionen nicht sehr hoch, dafür sind die Nebenwirkungen z.T. erheblich.

6.1.4.6.1Rituximab

Rituximab induziert eine selektive Depletion CD20-positiver B-Lymphozyten. Dadurch werden bei der ITP weniger Thrombozyten-Autoantikörper gebildet. 1998 wurde Rituximab erstmals bei einem Patienten mit chronischer, therapierefraktärer ITP erfolgreich eingesetzt. Seither sind zahlreiche Fallberichte und Studien publiziert. Im Mittel erreicht Rituximab bei 60% der Patienten eine kurzfristige Steigerung der Thrombozytenzahl. Es kommt jedoch zu Rezidiven. Die längerfristigen Remissionsraten liegen bei 10-40% [2425].

Es scheint zwei Formen des Ansprechens zu geben. Manche Patienten zeigen eine Besserung bereits nach den ersten Infusionen („Early Responder“), bei anderen tritt der Thrombozytenanstieg erst Wochen nach Therapieende ein („Late Responder“). Bei fehlendem Ansprechen in den ersten 4 Wochen sollte man nicht gleich von einer Unwirksamkeit ausgehen. Als Erklärung für dieses unterschiedliche Ansprechen wird vermutet, dass bei den „Early Respondern“ Antikörperbeladene B-Lymphozyten das Retikulohistiozytäre System sättigen und blockieren während bei den „Late Respondern“ die verminderte Neubildung von Thrombozytenantikörpern zum Tragen kommt. Aus den publizierten Studien lassen sich folgende Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit ziehen:

  • Rituximab ist vor und nach Splenektomie wirksam.

  • Kinder scheinen etwas besser anzusprechen als Erwachsene. Rückfälle treten bei Kindern nur in den ersten Jahren auf, bei Erwachsenen auch später.

  • Frauen und Mädchen scheinen auf Rituximab besser anzusprechen als Männer und Jungen. Dies mag am unterschiedlichen Metabolismus von Rituximab liegen.

  • ITP-Patienten, bei denen die Erkrankung noch nicht so lange besteht, scheinen auch besser anzusprechen.

  • Die Behandlung mit Rituximab ist in der Regel gut verträglich. Wichtige Nebenwirkungen, auf die man achten sollte:

    • Infusionsreaktion mit Schwäche, Übelkeit, Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen sind häufig (ca. 60%), in der Regel mild und meist nur während der ersten Infusion (deshalb Prämedikation mit Kortikosteroid),

    • anaphylaktische Reaktionen sind selten (nicht zu verwechseln mit dem Zytokin-Freisetzungssyndrom bei Lymphomen),

    • das Infektionsrisiko ist erhöht (bei Fieber umgehende Vorstellung beim Arzt, auch am Wochenende),

    • Impfungen sind bis zu 6 Monate nach Rituximab wenig oder gar nicht wirksam. Wenn man den Zeitpunkt der Therapie wählen kann, dann gibt man Rituximab gerne im Frühjahr, dass die jährliche Grippeimpfung im Herbst nicht beeinträchtigt wird.

Rituximab bei Notfällen, zur Vermeidung oder Verzögerung der Splenektomie: Bei Patienten mit rezidivierter/therapieresistenter ITP und klinisch relevanten Blutungen wird Rituximab häufig als „Rescue“-Therapie eingesetzt, wenn Kortikosteroide, IVIG und TRAs nicht ausreichend wirksam sind. Für diese Indikation gibt es keine randomisierten Daten, zahlreiche Fallberichte sprechen jedoch für die Wirksamkeit.

Etwas anderes ist die Gabe von Rituximab vor Splenektomie. Rituximab kann vor Splenektomie angeboten werden, wenn der Patient dies wünscht, um die Chance einer Remission und Vermeidung der Operation zu nutzen, siehe auch Kapitel 6.1.4.4.

6.1.4.6.2Kombinationstherapien

Eine ITP, die auf multiple Vortherapien nicht anspricht und bei der die Patienten immer wieder klinisch relevant bluten, ist eine ernsthafte Erkrankung mit hoher Morbidität und Mortalität. In dieser Situation werden meist Kombinationen mehrere ITP-Wirkstoffe eingesetzt, z.B. Rituximab mit Steroiden und TRAs. Aufgrund der häufigen Nachfrage hier drei Kombinationen aus aktuellen Publikationen der letzten Jahre:

  • 2er, 3er oder 4er Kombination
    Hochdosis IVIG 1 g/kg/d an 2 Tagen hintereinander,
    + Prednison 1 mg/kg/d für mind 4 Wochen,
    + Wenn auf 2er Kombination keine Response, dann zusätzl. Rituximab 375 mg/m2/Wo x 4,
    + Wenn auf 3er Kombination immer noch keine Response, dann zusätzlich Romiplostim (max. 10 µg/kg).

  • 2er Kombination TRA+Glukokortikoid [18]
    TRA (Romiplostim 7-10 µg/d oder Eltrombopag 50-100* mg/d),
    + Prednison, Startdosis 10-60 mg/d, im Verlauf reduziert auf 5-10 mg/d.
    *Zulassung lt. Fachinformation nur 25-75 mg/d

  • 3er Kombination Glukokortikoid+Ciclosporin+Anti-CD20 Antikörper
    Dexamethasone 40 mg/d x 4 Tage,
    Ciclosporin A 2-3 mg/kg/d für 28 Tage.
    Rituximab 100 mg an den Tagen 7, 14, 21, und 28

  • Eine Übersicht weiterer Kombinationen bei [26].

  • Eine refraktäre bzw. immer wieder rezidivierende Thrombozytopenie sollte zu der Frage führen, ob es sich wirklich um eine primäre ITP handelt. Eine aktuelle Übersicht zeigt, dass in der Hälfte der Fälle bei erneuter Diagnostik dann doch eine sekundäre ITP, eine erbliche Thrombozytopenie, Lymphome, Knochenmarkinsuffizienzsyndrome (häufiger in der Pädiatrie), MDS oder eine bisher übersehene Medikamententoxizität gefunden wird [26]

6.1.5Alternative und komplementäre Behandlungsmethoden

Mehr als die Hälfte aller Patienten mit chronischer ITP nutzt alternative oder komplementäre Behandlungsformen ein, siehe auch Onkopedia Komplementäre und alternative Therapieverfahren. Evidenz für die Wirksamkeit spezifischer Verfahren bei der ITP gibt es nicht. Der Arzt sollte aktiv und empathisch danach fragen. Es ist nicht auszuschließen, dass komplementär eingesetzte Präparate Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Deshalb sollte die Thrombozytenzahl beim Einsatz solcher Therapieverfahren häufiger kontrolliert werden.

6.2Besondere Situationen

6.2.1COVID-19

6.2.1.1COVID-19 - Thrombozytopenien - Immunthrombozytopenien

Thrombozytopenien im Rahmen von Viruserkrankungen sind nicht ungewöhnlich (HIV, HCV, EBV, CMV, Herpes, Parvovirus, Masern, Röteln, Masern, Zika, Sars-CoV-1, etc.). In den ersten Publikationen zur COVID-19-Erkrankung wurde ebenfalls von Thrombozytopenien berichtet. Ein Abfall unter 150.000/µl fand sich bei ca. 20-30% der Patienten, meist war die Thrombozytopenie aber nur leichtgradig. Höhergradige Thrombozytopenien und insbesondere Blutungen waren wesentlich seltener, dann aber gehäuft bei Patienten mit einem schwerem oder letztlich tödlichen Krankheitsverlauf. Schwere Thrombozytopenien sind im Rahmen einer COVID-19 Erkrankung ein Indikator für eine schlechte Prognose.

Es gibt mittlerweile zahlreiche Fallberichte, dass im Rahmen einer COVID-19 Erkrankung eine ITP neu auftreten kann [272829303132333435]. Aber auch eine vorbestehende ITP kann sich unter COVID-19 verschlechtern [36]. Bei einigen COVID-19 Patienten fallen die Thrombozytenwerte bis unter 1000/µl und zumindest in Einzelfällen sind auch schwere Blutungen, bis hin zu ZNS-Blutungen beschrieben [283235]. Da in der Regel schwere Verläufe eher publiziert werden, könnte es sich jedoch um einen Bias handeln. Es gibt keine Zahlen, wie häufig eine ausgeprägte Thrombozytopenie bei SARS-CoV-2 Infektionen (alle Infektionen, von asymptomatisch bis schwer erkrankt) auftritt und wie häufig Patienten mit vorbestehender ITP eine schwere Thrombozytopenie bei SARS-CoV-2 Infektion entwickeln.

Die Thrombozytopenie tritt typischerweise nicht am Anfang der COVID-19 Erkrankung auf, sondern häufig nach 1 Woche [3133] oder sogar erst nach der Erholung („late-phase“ thrombocytopenia, [2937]). In den meisten Fällen ist die Immunthrombozytopenie transient und schließlich normalisieren sich die Thrombozytenwerte wieder, es wurde aber auch 3 Thrombozytopenie-Rezidive beschrieben, möglicherweise als Zeichen, dass SARS-CoV-2 auch persistierende oder gar chronische Verläufe induzieren kann [33]. Auch ein pädiatrischer Patient mit COVID-19 assoziierter ITP ist mittlerweile beschrieben [38].

Für Fragen zum weiteren Umgang von Patienten mit COVID-19 und das Risiko für einen schweren Verlauf, siehe Onkopedia Leitlinie Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen und Leitlinie Asplenie und Hyposplenismus.

6.2.1.2Risiko für einen schweren ITP-Verlauf bei SARS-CoV-2 Infektion

Viele ITP-Patienten fragen, ob sie ein erhöhtes Risiko haben, eine schwere Thrombozytopenie zu entwickeln, sollten sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren und an COVID-19 erkranken [3940]. Die Fallberichte und Zahlen sind jedoch zu gering, um hier eine fundierte Empfehlung auszusprechen.

6.2.2Operationen und Zahneingriffe

Wenn bei Patienten mit ITP eine Operation oder ein invasiver diagnostischer Eingriff geplant wird, stellt sich die Frage nach den präoperativ anzustrebenden Thrombozytenwerten, siehe Tabelle 19. Bei Notfalloperationen wird man in der Regel Steroide mit intravenös applizierten Immunglobulinen und ggf. auch Thrombozytenkonzentraten kombinieren. In allen anderen Fällen, insbesondere bei elektiven Operationen, sollte präoperativ eine Anhebung der Thrombozytenzahl mit Kortikosteroiden, TRAs oder anderen bei dem Patienten als wirksam erkannten Maßnahmen erreicht werden.

Tabelle 19: Anzustrebende Thrombozytenwerte bei Operationen und anderen invasiven Verfahren 

Eingriff

Schwellenwert

Zahnärztliche Zahnreinigung, Zahnsteinentfernung

> 20 x 109/L

Zahnextraktion (einfach)

> 20 x 109/L

Zahnextraktion (komplex, z.B. molar)

> 50 x 109/L

Leitungsanästhesie bei Zahneingriff

> 30 x 109/L

Lumbalpunktion (elektiv)

> 50 x 109/L

Lumbalpunktion (vitale Indikation)

> 10 x 109/L

Spinalanästhesie

> 50 x 109/L

Epiduralanästhesie

> 80 x 109/L

Anlage eines zentralen Venenkatheters

> 20 x 109/L

Angiographie einschl. Koronarangiographie

> 20 x 109/L

Gastrointestinale Endoskopie ohne Biopsie

kein Schwellenwert

Gastrointestinale Endoskopie mit Biopsie

> 20 x 109/L

Bronchoskopie/Bronchiallavage

> 20 x 109/L

Bronchoskopie mit transbronchialer Biopsie

> 50 x 109/L

bei chronischer Leberinsuffizienz vor diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen

> 20 x 109/L

Gelenkpunktion

> 20 x 109/L

Leberpunktion bei transjugulärem Zugang (bevorzugt)

> 10 x 109/L

Leberpunktion bei transkutanem Zugang

> 50 x 109/L

Beckenkammbiopsie

kein Schwellenwert

Andere Organpunktionen/Biopsien

> 50 x 109/L

Kleine Operation1

> 50 x 109/L

Kleine Operationen, bei denen durch Kompression eine Blutstillung erreicht werden kann

> 20 x 109/L

Größere Operation2

> 50 x 109/L

Bei akuten, transfusionsbedürftigen Blutungen

> 50 x 109/L

Bei weiteranhaltender Blutung und/oder Schädel-Hirn-Traum

Neurochirurgischer Eingriff

>70-100 x 109/L

Eingriffe am hinteren Augenabschnitt

>70-100 x 109/L

1Kleine Operationen sind operative Eingriffe mit einem geringen Blutungsrisiko, zu denen die Mehrzahl der peripheren Eingriffe zählt.
2Größere Operationen sind z.B. abdominelle oder thoraxchirurgische Eingriffe und Operationen in Regionen, die im Falle einer postoperativen Blutung nicht komprimiert werden können.

Anmerkung:

Diese Zahlen orientieren sich an der aktuellen Querschnitts-Leitlinie der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten - Gesamtnovelle 2020 [https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-ordner/mue/querschnitts-leitlinien__baek__zur_therapie_mit_blutkomponenten_und_plasmaderivaten_-_gesamtnovelle_2020 , geprüft 10.10.20]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Grenzwerte für Patienten mit Thrombozytenbildungsstörungen erhoben wurden. Für ITP-Patienten gibt es keine eigenen Daten. Hier muss die individuelle Blutungsanamnese dahingehend berücksichtigt werden, ob ein Patient in seiner Vorgeschichte bereits bei den angegebenen Thrombozytenzahlen geblutet hat.

6.2.3Impfungen

6.2.3.1Impfungen bei Thrombozytopenie

ITP-Patienten können alle Standardimpfungen erhalten, die von den nationalen Gesundheitsbehörden empfohlen werden. Nur bei ITP-Patienten mit immunsuppressiver Therapie wie z. B. Kortikosteroide, Rituximab, etc. sind Lebendimpfungen kontraindiziert. Diese Einschränkung trifft nicht auf die Therapie mit TRAs zu. Intravenöse Immunglobuline können die Wirkung von Lebendimpfstoffen beeinträchtigen. Die Hersteller empfehlen daher Abstände von mindestens drei Monaten, bzw. bis zu einem Jahr bei Masernimpfungen, zwischen Gabe der Immunglobuline und einer Lebendimpfung einzuhalten. Viele Impfungen können bei ITP Patienten mit niedrigen Thrombozytenzahlen s.c. statt i.m. verabreicht werden, um eine Muskelblutung zu vermeiden, analog dem Vorgehen bei Patienten mit therapeutisch dosierter Antikoagulation.

Bei Patienten, die eine ITP in der Anamnese haben und jetzt in Remission sind, oder bei Patienten, die aktuell unter einer chronischen ITP leiden, scheinen Impfungen keinen Rückfall oder eine Verschlimmerung der Thrombozytopenie zu induzieren. Wenn die Impfung unterlassen wird und der Patient dann an der Infektion erkrankt, hat er möglicherweise ein höheres Risiko, dass diese Infektion die Thrombozytopenie verschlimmert. Deshalb sollte auch die „Thrombozytopenie-behaftete“ Masern-Mumps-Röteln (MMR) Impfung allen bisher nicht geimpften Kindern mit ITP angeboten werden.

ITP-Patienten gehören außerdem zu dem Personenkreis, bei denen im Falle einer Hepatitis-B Infektion und bei einer aktuellen oder zukünftigen Therapie-induzierten Immundefizienz ein schwerer Verlauf zu erwarten wäre. Bei Reisen in Länder, deren medizinische Versorgung nicht den europäischen Standards entspricht, wäre im Fall einer Gabe von Blutprodukten außerdem eine Infektion nicht ausgeschlossen. Deshalb wird auch eine Hepatitis B-Impfung empfohlen.

6.2.3.2Thrombozytopenie nach Impfungen

Kurzfristige Thrombozytopenien in Assoziation mit Impfungen wurden beschrieben. Nach MMR-Impfung liegt die Inzidenz bei 1:40.000. Studien finden aber keine Häufung chronischer Thrombozytopenien nach Impfungen. Bei den seltenen Patienten, bei denen ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer ITP und einer vorhergehenden Impfung vermutet wird, sollten der Nutzen weiterer Impfungen mit diesem oder anderen Impfstoffen, die ähnliche Bestandteile enthalten, gegen die Risiken abgewogen werden.

Eine spezielle Situation ergibt sich gelegentlich nach MMR Impfungen: bei diesen Impfungen sind kurzfristige Thrombozytenopenien nicht selten (s.o.) und werden durch eine direkte Wirkung der lebenden, allerdings attenuierten Masern-, Röteln-, Mumps-Viren auf die Thrombozytopoese erklärt. Andererseits empfiehlt man mindetens zwei MMR Impfungen, um den vollen Impfschutz zu erreichen. In der Praxis stellt sich dann die Frage, ob eine zweite Impfung zumutbar ist, wenn ein Patient nach der ersten Impfung eine transiente Thrombozytopenie entwickelt hat. Bei einigen Kindern wurde beschrieben, dass nach Re-Vaccination keine erneute Thrombozytopenie auftrat. Das Risiko einer Thrombozytopenie nach Infektion mit Wildviren ist aber auch nicht von der Hand zu weisen. Man sollte deshalb prüfen, ob das Kind Antikörper entwickelt hat. Im positiven Fall kann man auf die zweite Impfung verzichten. Wenn der Proband keine oder nur niedrige Antikörper-Titer aufgebaut hat, dann wird das Risiko, dass er nach einer Infektion mit Wildviren auch eine Thrombozytopenie entwickelt, allgemein als höher angesehen und eine Re-Vaccination empfohlen. Der Arzt muss beurteilen, ob der Patient bzw. seine Eltern in der Lage sind, Blutungszeichen mitzuteilen und regelmäßig zu Kontrollen zu kommen (z.B. 2x pro Woche für 6 Wochen).

6.2.3.3Impfungen vor Splenektomie oder Rituximab

ITP-Patienten, bei denen aufgrund häufiger oder schwerer Blutungen bzw. bei Therapieresistenz eine baldige Splenektomie zu den näherliegenden Therapieoptionen zählt, sollten frühzeitig gegen Pneumo- und Meningokokken sowie Haemophilus influenzae B geimpft werden, siehe Kapitel 6.1.4.3. Das gleiche gilt für Patienten, die Rituximab erhalten sollen. Impfungen nach Rituximab entfalten keine ausreichende Schutzwirkung, weil die Impfantwort für mehrere Monate unterdrückt wird.

6.2.4Sekundäre ITP

Man unterscheidet bei der ITP eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache für die ITP erkennbar ist, von sekundären, bei denen die Immunthrombozytopenie durch Medikamente oder andere Erkrankungen ausgelöst wird, siehe Tabelle 1. Ca. 20% der ITP-Erkrankungen sind sekundär [4]. Folgende Auslöser werden häufiger genannt:

  • Autoimmunerkrankungen (Sjögren Syndrom, SLE, Rheumatoide Arthritis, Autoimmunthyreoiditis, u.a.),

  • Autoimmune entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, M. Crohn),

  • Immundefektsyndrome (z.B. CVID),

  • Hämatologische Neoplasien: Myelodysplastische Syndrome und Lymphome (1-2% aller Lymphom- und insbesondere 2-5% der CLL-Pat. haben eine sekundäre ITP),

  • Solide Tumoren. Häufig handelt es sich dabei um Bronchial- und Mammakarzinome. Die Inzidenz bei Tumorpatienten ist mit geschätzt 0,1% eigentlich nicht hoch, in der hämato-onkologische Praxis aber dennoch relevant, weil Tumorerkrankungen häufig sind und weiter zunehmen. In ¼ der Fälle geht die ITP der klinischen Manifestation und Diagnose der Tumorerkrankung voraus, weshalb man bei älteren Patienten mit einer neu aufgetretenen ITP auch immer nach Tumor-Symptomen, Risikofaktoren und Vollständigkeit der Vorsorgeuntersuchungen fragen sollte.

  • In den letzten Jahren hat die Inzidenz sekundärer Immunthrombozytopenien bei Tumorpatienten zugenommen, weil immer mehr Tumorentitäten mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt werden. Bei ~1% der mit Checkpoint-Inhibitoren behandelten Patienten kommt es zu einer Immunthrombozytopenie, meist in den ersten Behandlungsmonaten.

  • nach allogener Stammzelltransplantation,

  • Virusinfektionen (CMV, Hepatitis B und C, HIV),

  • Medikamente, siehe Kapitel 5.5.2.

Besonders bei älteren Patienten sollte man an eine sekundäre ITP denken. Die Splenektomie hat bei sekundärer ITP niedrigere Langzeitremissionsraten als bei primärer ITP. Die Milzentfernung verstärkt außerdem eine bereits vorbestehende Immunsuppression und erhöht das Risiko für Infekte. Sie sollte deshalb vermieden werden. In der Regel steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund.

6.2.5Schwangerschaft (Übersicht [41])

6.2.5.1Epidemiologie

Die Thrombozytenzahl gesunder Erwachsener liegt zwischen 150.000-380.000/µl. Die Thrombozytenzahl gesunder Schwangerer entspricht zunächst diesem Wert, fällt im Verlauf der Schwangerschaft dann jedoch häufig leicht ab. Ursächlich vermutet man eine Dilution des Blutes, die Vergrößerung der Milz in der Schwangerschaft und ein Thrombozytenpooling in der Plazenta.

Milde Thrombozytopenien von 100.000-150.000/µl findet man deshalb bei 5-10% der Schwangeren. Die häufigste Thrombozytopenie in der Schwangerschaft ist die Gestationsthrombozytopenie (70-80%), gefolgt von Präeklampsie und HELLP Syndrom (15-20%) und der ITP (1-4%). Selten sind Antiphospholipid-Syndrom, Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, familiäre Thrombozytopenien und andere Syndrome.

Die absolute ITP-Häufigkeit in der Schwangerschaft beträgt ca. 1:1000-10.000. In 70-90% der Fälle ist die ITP vorbekannt, bei ca. 10-30% wird sie erst im Lauf der Schwangerschaft diagnostiziert.

6.2.5.2Verlauf der ITP und empfohlene Kontrollintervalle

Die ITP ist während der Schwangerschaft nicht statisch. Bei der Hälfte der Patientinnen fallen die Thrombozytenwerte weiter ab und bei einem Viertel ist dann eine Therapie erforderlich. Seltener kommt es zum gegenteiligen Phänomen, dass die Werte ansteigen. Blutungen sind ein relevantes Risiko. Die Angaben in der Literatur schwanken stark zwischen 1% und 25%. Mit fallenden Thrombozytenwerten steigt natürlich die Sorge vor relevanten Blutungen, es gibt aber auch Schwangere mit sehr niedrigen Werten, die gar nicht bluten. Die Konsequenz ist, dass man bei stabilen Werten die Thrombozytenzahl alle 4 Wochen bestimmen wird, praktischerweise bei den gynäkologischen Kontrollen. Bei Werten unter 80.0000/µl sollte in den letzten 4 Wochen vor der Entbindung die Thrombozytenzahl wöchentlich gemessen werden.

6.2.5.3Blutungs- und andere Risiken

Das Blutungsrisiko für Schwangere mit ITP wird mit 16-22% angegeben und ist damit geringer als bei Nicht-Schwangeren mit ITP. Möglicherweise spielt die prokoagulatorische Gerinnungsaktivierung in der Schwangerschaft für die geringere Blutungsneigung eine Rolle.

Auch das ungeborene Kind kann durch die ITP der Mutter betroffen sein, wenn durch den plazentaren Übertritt von Thrombozyten-Antikörpern eine Thrombozytopenie beim Neugeborenen ausgelöst wird. Das Risiko liegt bei ca. 5-10%. Intrazerebrale Blutungen treten bei <1,5% auf und die neonatale Mortalität beträgt <1%. Die Blutungen manifestieren sich nicht wie bei der neonatalen Alloimmunthrombozytopenie bereits intrauterin, sondern in der Regel peri- und bis ca. 1 Woche postnatal.

Die mütterlichen Thrombozytenwerte korrelieren nicht mit denen des Kindes. Dies ist insbesondere bei splenektomierten Frauen zu beachten. Dann können die Thrombozytenwerte der Mutter gering erniedrigt oder sogar normal sein, während der Antikörper, der durch die Splenektomie nicht verschwunden ist, beim Kind eine viel stärkere Thrombozytopenie verursacht. Der einzige prädiktive Marker ist, ob bereits bei einer vorhergehenden Geburt eine Thrombozytopenie des Neugeborenen aufgetreten war. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich dies bei der nächsten Geburt wiederholt.

6.2.5.4Diagnostik

Die Diagnostik orientiert sich an der Differenzialdiagnose, siehe Abbildung 3

Abbildung 3: Differenzialdiagnose der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft 
1 EDTA – Ethylendiamintetraessigsäure;
2 GT – Gestationsthrombozytopenie;
3 ITP – Immunthrombozytopenie;
4 HIV – humaner Immundefizienzvirus;
5 HELLP – Syndrom (hämolytische Anämie, erhöhte Leberwerte, Thrombozytopenie);
6 TTP – Thrombotisch Thrombozytopenische Purpura;
7 HIT – Heparin-induzierte Thrombozytopenie;
8 z. B. myelodysplastisches Syndrom, myeloproliferative Neoplasien

Bei einer in der Schwangerschaft neu diagnostizierten Thrombozytopenie > 100 x 109/L ist in der Regel keine weitere Diagnostik notwendig. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich um eine harmlose Schwangerschaftsthrombozytopenie handelt. Bei Werten von < 100 x 109/L wird eine Basisdiagnostik analog dem Vorgehen bei nicht-schwangeren ITP-Patienten empfohlen, siehe Kapitel 5.2.1.

Für den Nachweis freier Antikörper als Risiko für eine fetale Thrombozytopenie liegen keine validen Daten vor.

6.2.5.5Therapieindikation bei Schwangerschaft

Ca. die Hälfte aller Schwangeren mit ITP benötigt eine Behandlung. Während man bei nicht-schwangeren Patienten den sog. Thrombozytenschwellenwert (Wert, ab dem behandelt werden sollte) schon vor Jahren verlassen hat, lebt dieser im praktischen Umgang mit schwangeren ITP-Patientinnen weiter. Dies ist sowohl dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis als auch dem Fehlen klinischer Studien geschuldet. Leitlinien und viele Experten empfehlen die Behandlung, unabhängig von der klinischen Blutungsneigung oder anderen Faktoren, sobald bei einer Schwangeren Werte von 20.000-30.000/µl unterschritten werden. Zum Ende der Schwangerschaft sollten die Werte höher liegen. Für die vaginale Entbindung werden Werte über 50.000/µl gefordert, für eine Sectio oder eine Leitungsanästhesie bei der Entbindung 70-80.000/µl. Im Ergebnis wird man zum Schwangerschaftsende den höheren Wert anstreben, damit man bei Problemen unter der Entbindung sofort „umsteigen“ kann.

6.2.5.6Therapie bei Schwangerschaft

Steroide [Predniso(lo)n]: Man wird – wenn kein Notfall die Verwendung höherer Dosen erforderlich macht – mit einer Dosis von 20-30 mg/d beginnen und versuchen, diese rasch soweit zu reduzieren, dass eine Thrombozytenzahl von 20-30 x 109/L gehalten werden kann (meist reichen 10-20 mg/d). Neben den bekannten Kortison-Nebenwirkungen auf die Mutter wie Hochdruck, Diabetes, Osteoporose, Cushing, etc. wurde in den letzten Jahren auch ein vermehrtes Auftreten von Fehlbildungen beim Neugeborenen diskutiert (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten). Diese sind jedoch insgesamt so selten, dass ein Therapieverzicht allein aus Furcht vor diesem Risiko nicht gerechtfertigt erscheint.

Dexamethason, das bei Nicht-Schwangeren gerne eingesetzt wird, ist in der SS unüblich bzw. kontraindiziert (s. Fachinformation). Störungen der Fötalentwicklung sind möglich.

Die Gabe von Steroiden (oder IVIG s.u.) an die Mutter, allein mit dem Ziel, die Thrombozytenzahl beim Fetus zu steigern ist nicht sinnvoll.

Wenn die Patientin längerfristig pränatal Steroide hatte, wird man postpartal nicht abrupt absetzen, sondern über 4-6 Wochen langsam „ausschleichen“ und dabei regelmäßig die Thrombozytenzahl prüfen. Wenn die Thrombozytenzahlen dann postpartal wieder abfallen oder wenn Blutungen auftreten muss man eine 2nd-Line Therapie erwägen.

i.v. Immunglobuline: Wenn höhere Steroid-Dosen notwendig sind oder wenn Therapie-begrenzende Nebenwirkungen wie Hypertonie, diabetische Stoffwechsellage, Osteoporose, starker Gewichtsanstieg, Psychose, etc. auftreten, kann man alternativ i.v. Immunglobuline anwenden. Immunglobuline können wiederholt und besonders zum Ende der Schwangerschaft zur weiteren Anhebung der Thrombozytenzahl vor Entbindung (und evtl. PDA) gegeben werden.

Splenektomie: Bei schwerer, nicht anders kontrollierbarer Thrombozytopenie und Blutungen ist die Splenektomie indiziert. Wenn möglich sollte die Splenektomie laparoskopisch im 2. Trimester durchgeführt werden.

Weitere Therapien

  • Thrombozytenkonzentrate: können bei nicht beherrschbarer Thrombozytopenie und klinisch relevanten Blutungen gegeben werden, siehe Kapitel 6.1.3.3.3.

  • Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs): sie sollten in der Schwangerschaft nicht gegeben werden, da Sicherheitsdaten fehlen und weil man befürchtet, bei transplazentarer Passage beim Kind eine Thrombozytopenie auszulösen. Aktuell wurde jedoch eine Studie publiziert, dass TRAs zumindest zum Ende der Schwangerschaft vertretbar sind [42]. Bei ¾ der Schwangeren wurde ein Anstieg der Thrombozytenzahl erreicht. Schwere peripartale Blutungen oder Thromboembolien traten nicht auf. Ein Teil der Neugeborenen hatte trotz der TRA-Therapie der Mutter postpartal eine Thrombozytopenie, ein Neugeborenes eine Thrombozytose von 555 x 109/L. Wenn der Entbindungstermin naht, keine Therapie bisher ausreichend angesprochen hat und das Behandlungsteam mit dem „Rücken zur Wand steht“ wäre die Gabe eines TRAs somit kein Behandlungsfehler.

  • Vor kurzem wurde über die erfolgreiche Gabe von TPIAO bei Schwangeren berichtet. TPIAO ist ein rekombinantes Thrombopoetin-Molekül, das seit 2010 in China zur 2nd-Line Therapie der Immunthrombozytopenie zugelassen ist (http://www.3sbio.com/en/business/list.aspx). Im Gegensatz zu Romiplostim und Eltrombopag scheint TPIAO bei Schwangeren wirksam und sicher zu sein. TPIAO ist aktuell in China und auf den Philippinen zugelassen und wird dort auch bei Schwangeren eingesetzt. In Deutschland ist es nicht erhältlich.

  • Rituximab ist trotz fehlender Zulassung fester Bestandteil der Zweit- oder Drittlinienempfehlungen aller aktuellen Leitlinien für nicht-schwangere Patienten und Patientinnen. Bei Schwangeren wird Rituximab aufgrund des „Off-Label“ Status jedoch nur sehr zurückhaltend empfohlen. Es gibt nur Fallserien oder Einzelfallberichte. Rituximab kann die Plazenta passieren und in seltenen Fällen beim Neugeborenen eine Lymphozytopenie auslösen. Beim Einsatz von Rituximab ist der potenzielle Nutzen besonders sorgfältig gegenüber dem potenziellen Risiko für den Fötus abzuwägen.

6.2.5.7Peri- und postpartales Management

Die Entscheidung zur Sectio sollte nicht durch die ITP, sondern allein durch die geburtshilfliche Situation der Mutter bestimmt werden. Die Angaben zur Häufigkeit schwerer postpartaler Blutungen bei ITP-Patientinnen schwanken zwischen 8% und 21%. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten sollte Notfällen und nicht anders stillbaren Blutungen vorbehalten bleiben.

Bis zu ⅓ der Neugeborenen sind thrombozytopen mit Werten unter 100.000/µl und bis zu 14% hat Werte unter 50.000/µl. Hat das Neugeborene <20 x 109 Thrombozyten/L oder bei Blutungszeichen, soll mit i.v.-Immunglobulinen und Steroiden behandelt werden. Da der Thrombozytennadir z.T. auch erst nach einigen Tagen auftritt (bis zu 1 Woche nach der Geburt), sollte entsprechend lange kontrolliert werden.

Postpartal hat die Mutter durch die präpartale ITP-Therapie meist Thrombozyten >50 x 109/L oder sogar Werte im Normbereich. Da die ITP eine „thrombophile“ Erkrankung ist, siehe Kapitel 6.2.7, sollte bei diesen Werten und Immobilität der Wöchnerin eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin erwogen werden.

6.2.6Alte Patienten, Komorbiditäten, Komedikation

6.2.6.1Grundlagen

Zwischen 20 und 40% aller ITP Patienten sind >60 Jahre. Bei älteren Patienten ist die ITP-Inzidenz fast doppelt so hoch ist wie bei jüngeren. Die ITP des älteren Patienten unterscheidet sich von der des jüngeren:

  • Blutungen sind bei älteren Patienten häufiger.

  • Ältere Patienten nehmen mehr Medikamenten und haben eine erhöhte Inzidenz Medikamenten-induzierter Thrombozytopenien.

  • Ältere Patienten sprechen nicht so gut auf die Therapie an wie jüngere. Auch Nebenwirkungen der Therapie sind häufiger.

  • Bei älteren Patienten werden andere Erkrankungen, die mit einer isolierten Thrombozytopenie einhergehen können, z.B. ein MDS, eher als ITP fehldiagnostiziert.

  • Viele ältere Patienten haben Komorbiditäten u.a. Einschränkungen, die bei der Wahl der ITP-Therapie, bei potentiellen Nebenwirkungen und bei der Intensität des Monitoring mit beachtet werden müssen.

  • Eine aktuelle Studie zeigt, dass Knochenmarkdiagnostik, die wegen der häufigeren Differenzialdiagnosen gerade bei Älteren hilfreich wäre, bei nur ca. der Hälfte der Patienten durchgeführt wird.

6.2.6.2Komorbiditäten

Fast 2/3 aller ITP-Patienten über 60 Jahre hat Komorbiditäten, die den Verlauf und die Therapie der ITP beeinflussen. Häufig sind: Hypertonie, Diabetes, Koronare Herzkrankheit, Neuropsychiatrische Erkrankungen, Pneumonien, Anämie und Katarakte.

ITP Patienten haben im Vergleich zu Nicht-ITP-Patienten ein ca. 3x höheres Risiko, an einem Malignom, insbesondere einem Lymphom zu erkranken.

6.2.6.3Antikoagulation

Schon allein aufgrund ihres Alters haben viele ITP-Patienten kardiale oder vaskuläre Nebenerkrankungen, die eine Antikoagulation erfordern. Andererseits sind Antikoagulanzien bei Thrombozytopenie in der Regel formal kontraindiziert. Für diese Situationen gibt es nur Fallberichte, die keine evidenzbasierte Empfehlung erlauben. Abbildung 4 fasst die Empfehlungen zum Vorgehen bei Thrombozytopenie und gleichzeitig dringender Indikation zur therapeutischen Antikoagulation zusammen.

Abbildung 4: Antikoagulation bei Thrombozytopenie 
1 wenn es dennoch zu Blutungen kommt: Dosis reduzieren
2 z.B. Heparin in halbtherapeutischer oder prophylaktischer Dosierung oder Thrombozytenhemmer jeden 2. Tag; wenn es dennoch zu Blutungen kommt: Dosis reduzieren.
Wenn es zu Beschwerden durch erneute Gefäßverschlüsse kommt: Dosis erhöhen
3 In der Regel keine Antikoagulation, außer in Fällen mit hohem Risiko einer erneuten Thromboembolie oder eines erneuten arteriellen Gefäßverschlusses. Empfehlung:
Wenn Blutungen durch die Thrombozytopenie klinisch im Vordergrund stehen → keine Antikoagulation,
Wenn Beschwerden durch Gefäßverschlüsse im Vordergrund stehen → Antikoagulation mit halb-therapeutischer oder prophylaktischer Dosis und je nachdem, ob dann Blutungen auftreten oder nicht, Dosis anpassen. Alternativ: Anheben der Thrombozytenzahl durch ITP-spezifische Therapie. Manchmal kann auch bei ITP Patienten ein Ansprechen auf Thrombozytenkonzentrate beobachtet werden (siehe Kap. 0). Wenn so Thrombozyten >50.000/µl ansteigen, dann volldosierte Antikoagulation.

6.2.7ITP als Risikofaktor für venöse und arterielle Thrombembolien

Bei ITP kommt es nicht nur zu einer Blutungsneigung, auch das Risiko venöser und arterieller Thromboembolien ist ca. 2x höher als bei einer vergleichbaren Gruppe von Nicht-ITP Patienten. Die ITP ist somit gleichzeitig eine hämorrhagische als auch eine thrombophilie Erkrankung. Die Patienten sind durch ihre Thrombozytopenie nicht vor Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Thrombosen geschützt. Bei entsprechenden Symptomen sollten diese Differenzialdiagnosen nicht hintangestellt werden.

  • Das Risiko ist nicht nur nach Diagnosestellung und unter Therapie erhöht, sondern auch schon vorher, wenn noch gar keine ITP-spezifische Therapie gegeben wurde,

  • Patienten mit niedriger Thrombozytenzahl (< 50 x 109/L) sind von dem Risiko nicht ausgenommen,

  • Das Risiko ist besonders hoch

    • nach Splenektomie,

    • nach bereits stattgehabter venöser oder arterieller Thromboembolie,

    • bei schnellem Thrombozytenanstieg unter Therapie (z.B. nach IVIG oder unter TRAs),

    • bei älteren Patienten, bei Übergewicht, Operationen,

    • bei ITP mit Antiphospholipid-Antikörpern oder Lupus Antikoagulans.

Der Grund für die erhöhte venöse und arterielle Thromboembolieneiung bei ITP ist unklar. Veränderungen von Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren und die vermehrte Freisetzung von Mikropartikeln werden diskutiert.

Als Konsequenz sollten alle ITP Patienten darüber aufgeklärt werden, dass ihre Erkrankung nicht nur das Blutungsrisiko, sondern auch das Risiko venöser und arterieller Thromboembolien erhöht. Sie sollten über die Symptome informiert sein und wissen, wo sie sich außerhalb der Dienstzeit und an Wochenenden vorstellen können. Risikofaktoren (z.B. Rauchen, Bluthochdruck, Blutfettwerte, etc.) sind anzugehen und ggf. in fachärztliche Mitbetreuung zu geben.

Für die klinische Praxis wurde der TH2-Score entwickelt (Thrombosis and Thrombocytopenia Risk Assessment Score, siehe Tabelle 20. Er hilft bei der Einschätzung, ob ein ITP-Patient eher ein erhöhtes Blutungs- oder ein erhöhtes Thromboserisiko trägt und ob eine Antikoagulation empfohlen oder davon abgeraten werden sollte.

Tabelle 20: TH2 Score zur Abwägung des Thrombose- und Blutungsrisikos 

Thromboserisikofaktoren

  • CHA₂DS₂-VASc Score > 5,

  • oder spontane oder rezidivierte oder tumor-assoziierte venöse Thromboembolie,

  • oder Antiphospholipid-Syndrom,

+1

  • Therapie mit IVIG in den letzten 2 Wochen,

  • Therapie mit TPO-RA in den letzten 4 Wochen,

  • oder Splenektomie in den letzten 4 Wochen.

+1

Blutungsrisikofaktoren

  • Thrombozyten < 20 x 109/l,

-1

  • Initial, d.h. vor Beginn einer Therapie, Blutungen WHO Grad 2 oder ITP-Bleeding Score* 2 (ausgenommen Hautblutungen)

-1

Score ≥ 0

Thromboserisiko überwiegt

Score < 0

Blutungsrisiko überwiegt

*ITP-Bleeding Score nach Page et al. Br J Haematol 138:245-248, 2007

6.2.8Lebensqualität und Fatigue

ITP Patienten berichten häufig von einer deutlich reduzierten Lebensqualität [434445]. Dies gilt besonders für den Anfang der Erkrankung, wenn Blutungssymptome noch häufig sind und wenn der Patient bzw. seine Angehörigen erst lernen müssen, mit der Thrombozytopenie umzugehen. Mit zunehmender Erfahrung wird die Lebensqualität besser. Es wird der Situation von ITP-Patienten deshalb nicht gerecht, wenn man den Therapieerfolg allein an der Blutungsneigung und Thrombozytenzahl festmacht.

Nach Blutungssymptomen und Nebenwirkungen der Therapie klagen viele ITP Patienten über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit, bis hin zu depressiven Störungen („Fatigue“) [44]. Fatigue betrifft auch Kinder und Heranwachsende mit ITP [46]. Ein Zusammenhang zwischen ITP und kognitiven Funktionseinschränkungen wird beschrieben [474849]. Eine aktuelle Untersuchung findet aber auch bei ITP-Patienten in der Bundesrepublik eine hohe Inzidenz von Fatigue [50]. Die Ursachen der ITP-assoziierten Fatigue sind nicht geklärt und wahrscheinlich multifaktoriell. Einschränkungen der körperlichen Aktivität aufgrund der Thrombozytopenie, verminderte Teilhabe an sozialen Kontakten, Stigmatisierung durch Blutungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen, spielen wohl eine wichtige Rolle. Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen Thrombozytenzahl und Fatigue. Auch nach Besserung der Thrombozytopenie klagen viele Patienten über Fatigue [454650].

Es fällt auf, dass Fatigue-Beschwerden in der älteren wissenschaftlichen Literatur zur ITP kaum bis gar nicht erwähnt wurden. Die Relevanz für die Lebensqualität von ITP Patienten wird deshalb wahrscheinlich auch heute vielfach noch unterschätzt. Dazu kommt, dass erst in den letzten Jahren geeignete Instrumente zur Erfassung von Lebensqualität und Fatigue bei ITP-Patienten entwickelt wurden (für FACIT-ITP Fragebogen siehe https://www.facit.org/FACITOrg/Questionnaires). All diese Untersuchungen zeigen, dass eine Anhebung der Thrombozytenzahl die Lebensqualität von ITP-Patienten deutlich verbessert.

Behandelnde Ärzte sollten heute mehr Aufmerksamkeit auf Fatigue-Symptome richten, um dies frühzeitig zu erkennen. Zur Behandlung gibt es aktuell nur wenige Daten. Neben der erwähnten Anhebung der Thrombozytenzahl empfiehlt sich ein körperliches und mentales Training, analog den Empfehlungen der Deutschen Fatigue Gesellschaft für die tumorassoziierte Fatigue (https://deutsche-fatigue-gesellschaft.de/behandlung/koerperliches-training).

6.2.9Sport

ITP Patienten können grundsätzlich Sport machen. Das individuelle Blutungsrisiko und die Sportart sollten mit dem Arzt besprochen werden. In Analogie zu Patienten mit Hämophile oder Antikoagulation wird man bei niedrigen Thrombozytenzahlen (<50 x 109/L) Kampf- und Kontaktsportarten wie Rugby, Fußball, Eishockey o. ä. vermeiden. Problemlos sind sicher Schwimmen, Fahrradfahren, Leichtathletik. Es gibt jedoch keine absolut sicheren oder unsicheren Sportarten, hier sind – wie überall - Augenmaß und Vorsicht gefordert.

7Rehabilitation

7.1Sozialrecht (gilt nur für die Bundesrepublik Deutschland)

Die Einschätzung des Grades der Behinderung (GdB) gem. Sozialgesetzbuch Neun (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) richtet sich nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) Teil B. Darin gibt es keine spezifischen Vorgaben für Patienten mit Thrombozytopenien. Die ITP wird unter die Gruppe der sonstigen Blutungsleiden subsumiert; nach Nr. 16.10 der VMG sind folgende Grade der Behinderungen vorgesehen, siehe Tabelle 21.

Tabelle 21: Grade der Behinderung  

Blutungsneigung

GdB

ohne wesentliche Auswirkungen

10

mäßige Auswirkungen

20-40

Starke Auswirkungen (starke Blutungen bereits bei leichten Traumata)

50-70

ständige klinisch manifeste Blutungsneigung (Spontanblutungen, Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen)

80-100

Nach Auffassung der Rechtsprechung ist für die Einschätzung allein die tatsächliche Blutungsneigung ausschlaggebend und nicht die abstrakte Möglichkeit, dass es aufgrund niedriger Thrombozytenwerte in der Zukunft zu starken Blutungen kommen könnte.

8[Kapitel nicht relevant]

9Literatur

  1. Marini I, Bakchoul T: Pathophysiology of Autoimmune Thrombocytopenia: Current Insight with a Focus on Thrombopoiesis. Haemostaseologie 39:227-237, 2019. DOI:10.1055/s-0039-1678732

  2. Sachs U: Diagnosing Immune Thrombocytopenia. Hamostaseologie 39;250-258, 2019. DOI:10.1055/s-0039-1678739

  3. Holzhauer S, Bergmann F, Cario H et al.: Leitlinie „S2k-Leitlinie 086-001: Neu diagnostizierte Immunthrombozytopenie im Kindes- und Jugendalter“. Stand: 31.10.2018, gültig bis 31.01.2023, https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/086-001.html

  4. Bussel JB, Tomiyama Y, Michel M et al.: Physicians’ perceptions on causes of primary and secondary ITP and leading causes of misdiagnosis: results from the ITP World Impact Survey (I-WISH). EHA Annual Meeting 2019 Abstract, EHA Library. Bussel J. 06/14/19; 266511; PF712, no DOI, https://library.ehaweb.org/eha/2019/24th/266511/j.bussel.physicians.perceptions.on.causes.of.primary.and.secondary.itp.and.html?f=listing%3D0%2Abrowseby%3D8%2Asortby%3D1%2Asearch%3Dbussel (geprüft 19.9.20)

  5. Neunert C, Terrell DR, Arnold DM et al.: American Society of Hematology 2019 guidelines for immune thrombocytopenia. Blood Adv 3:3829-3866, 2019. DOI:10.1182/bloodadvances.2019001380

  6. Provan D, Arnold DM, Bussel JB et al.: Updated international consensus report on the investigation and management of primary immune thrombocytopenia. Blood Advances 3:3780-3817, 2019. DOI:10.1182/bloodadvances.2019000812

  7. Arai Y, Matsui H, Jo T et al.: Efficacy of Dexamethasone for Acute Primary Immune Thrombocytopenia Compared to Prednisolone: A Systematic Review and Meta-analysis. TH Open 14:e73-e81, 2017. DOI:10.1055/s-0037-1604168

  8. Kuter DJ, Bussel JB, Lyons RM et al.: Efficacy of romiplostim in patients with chronic immune thrombocytopenic purpura: a double-blind randomised controlled trial. Lancet 371:395-403, 2008. DOI:10.1016/S0140-6736(08)60203-2

  9. Tarantino MD, Bussel JB, Blanchette VS et al.: Romiplostim in children with immune thrombocytopenia: a phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled study. Lancet 388:45-54, 2016. DOI:10.1016/S0140-6736(16)00279-8

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  42. Michel M, Ruggeri M, Gonzalez-Lopez TJ et al.: Use of thrombopoietin receptor agonists for immune thrombocytopenia in pregnancy: results from a multicenter study Blood 2020. DOI:10.1182/blood.2020007594 [Epub ahead of print]

  43. Khelif A, Saleh MN, Salama A et al.: Changes in health-related quality of life with long-term eltrombopag treatment in adults with persistent/chronic immune thrombocytopenia: Findings from the EXTEND study. Am J Hematol 94:200-208, 2019. DOI:10.1002/ajh.25348

  44. Ghanima W, Bussel JB, Provan D et al.: Patients’ reported perceptions on satisfaction with immune thrombocytopenia treatments: results from the ITP world impact survey (I-WISH). EHA Annual Meeting 2020 Abstract. EHA Library. Haenig J. 06/12/20; 294113; EP1631 https://library.ehaweb.org/eha/2020/eha25th/294113/jens.haenig.patients.reported.perceptions.on.satisfaction.with.immune.html?f=listing%3D0%2Abrowseby%3D8%2Asortby%3D1%2Asearch%3Dfatigue (geprüft 19.9.20)

  45. Bussel JB, Ghanima W, Cooper N et al.: Higher symptom burden in patients with immune thrombo-cytoepenia experiencing fatigue: results from the ITP world impact survey (I-WISH). EHA Annual Meeting 2020 Abstract. EHA Library. Bussel J. 06/12/20; 294123; EP1642 https://library.ehaweb.org/eha/2020/eha25th/294123/j.bussel.higher.symptom.burden.in.patients.with.immune.thrombocytopenia.html?f=listing%3D0%2Abrowseby%3D8%2Asortby%3D1%2Asearch%3Dfatigue (geprüft 19.9.20)

  46. Grace RF, Klaassen RJ, Shimano KA et al.: Fatigue in children and adolescents with immune thrombocytopenia. Br J Haematol 2020 DOI:10.1111/bjh.16751 [Epub ahead of print]

  47. Kruse A, Kruse C, Potthast N, Milligan K, Bussel JB. Mental Health and Treatment in Patients with Immune Thrombocytopenia (ITP); Data from the Platelet Disorder Support Association (PDSA) Patient Registry. ASH Annual Meeting Abstract, Blood 134(Suppl. 1). Abstr. #2362, 2019. DOI:10.1182/blood-2019-122278

  48. Mitchell E, Frith J, Newton J. Fatigue and cognitive impairment in immune thrombocytopenic purpura remain stable over time: short report from a longitudinal study. Br J Haematol 186:777-781, 2019. DOI:10.1111/bjh.15993

  49. Lange M, Joly F, Vardy J, Ahles T, et al. Cancer-related cognitive impairment: an update on state of the art, detection, and management strategies in cancer survivors. Ann Oncol 30:1925-40, 2019. DOI:10.1093/annonc/mdz410

  50. Meyer O, Stauch M, Kämpfe D et al. Treatment of Immune Thrombocytopenia (ITP) with Eltrombopag – Results of the 3rd Interim Analysis of the German Non-Interventional Trial RISA. ASH Annual Meeting 2020 (submitted)

10Aktive Studien

CETB115JDE01 (XPAG-ITP) - Erstlinienstudie mit Eltrombopag

Eine offene, prospektive, randomisierte Phase-II-Studie zur Bestimmung der anhaltenden Remission nach Absetzen der Therapie durch Eltrombopag in Kombination mit einer Kurzstoßtherapie mit hochdosiertem Dexamethason im Vergleich zu einer Monotherapie mit Dexamethason bei neu-diagnostizierten ITP-Patienten.

Die Studie wird in absehbarer Zeit aktiviert. Gern Kontakt über Erstautor der Leitlinie (AM).

NCT02760251: Immunomodulation with Romiplostim in Young Adults with ITP (iROM)

Ansprechpartnerin: Dr. Alexandra Schifferli, Universitätsklinikum Basel, 0041 (61) 704 1212, E-Mail: alexandra.schifferli@ukbb.ch

Diese Studienliste wurde nach bestem Wissen der Autoren erstellt. Studienleiter, deren Studie hier nicht genannt wurde sind aufgefordert, sich mit den Verantwortlichen der Leitlinie in Verbindung zu setzen, dass die Aufstellung aktualisiert werden kann.

11Therapieprotokolle

12[Kapitel nicht relevant]

13Zulassungsstatus

15Anschriften der Experten

PD Dr. med. Susanne Holzhauer
Charité, CVK
Klinik für Pädiatrie m.S. Onkologie und Hämatologie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Prof. Dr. med. Thomas Kühne
Universitäts-Kinderspital beider Basel
Spitalstr. 33
CH-4056 Basel
Prof. Dr. med. Axel Matzdorff
Asklepios Klinikum Uckermark
Klinik für Innere Medizin II
Am Klinikum 1
16303 Schwedt
PD Dr. med. Oliver Meyer
Blutspendedienst der Landesverbände des DRK
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen,
Oldenburg und Bremen, Institut Springe
Eldagsener Str. 28
31832 Springe
Prof. Dr. med. Helmut Ostermann
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15
81377 München
Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger-Fasching
Allgemeines Krankenhaus Wien
Universitätsklinik für Innere Medizin I
Klinische Abt. für Hämatologie und Hämostaseologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Mathias J. Rummel
Klinikum der Justus-Liebig-Universität Giessen
Medizinische Klinik IV
StiL-Studienzentrale
Klinikstr. 36
35392 Gießen
Prof. Dr. med. Ulrich Sachs
Institut für Klinische Immunologie,
Transfusionsmedizin und Hämostaseologie
der Justus-Liebig-Universität
Langhansstr. 7
35392 Gießen
Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann
Amb. Gesundheitszentrum der Charité
Campus Virchow-Klinikum
Med. Klinik m.S. Hämatologie & Onkologie
Augustenburger Platz 1
13344 Berlin

16Erklärungen zu möglichen Interessenkonflikten

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Reference:

Quellenangabe:

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