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Selen – Einsatz während der Tumortherapie

Die Kapitel zu komplementären und alternativen Therapieverfahren wurden auf der Grundlage von Übersetzungen der evidenzbasierten Zusammenfassungen (CAM Summaries) des europäischen Projektes CAM Cancer erstellt. Diese sind strukturierte Übersichtsarbeiten, in denen Daten zu Grundlagen und Anwendung komplementärmedizinischer Verfahren in Form von kurzen Monographien aufbereitet wurden.

Stand August 2015
Dies ist die aktuell gültige Version des Dokuments

1Zusammenfassung

Das Spurenelement Selen ist ein essentieller Nahrungsbestandteil für den menschlichen Organismus und in verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten. Es findet sowohl in anorganischer (z.B. Natriumselenit oder -selenat) als auch organischer Form (z.B. Selenomethionin) in zahlreichen selenhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln oder Präparaten für medizinische oder gesundheitsfördernde Zwecke Verwendung. Diese enthalten entweder nur Selen (Monopräparate) oder Selen in Kombination mit weiteren Spurenelementen sowie Vitaminen.

Die Selensupplementation wird zur Behandlung maligner Tumorkrankheiten sowie zur Prävention und Behandlung der unerwünschten Wirkungen von Tumortherapien propagiert.

Die Rolle von Selen in der Tumortherapie und der Behandlung oder Prävention von therapiebedingten Nebenwirkungen ist unklar. Eine Studie stellte bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom unter einem CHOP-28-Therapieschema plus Selen eine höhere Remissionsrate fest, ob sich diese Beobachtung aber verallgemeinern lässt, ist ungewiss. Eine weitere randomisierte klinische Studie ergab für Selenhefe keinen Vorteil bezüglich des progressionsfreien 5-Jahres-Überlebens bei Patienten mit reseziertem nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom im Stadium I.

Auch wenn verschiedene Gesundheitsprobleme mit Selenmangel in Verbindung gebracht werden, ist Selen in hohen Dosen toxisch und kann unerwünschte Wirkungen haben, wenn es über längere Zeit in Dosierungen verwendet wird, die über der mit der normalen Ernährung aufgenommenen Dosis liegen. Die Langzeitsupplementation hat Symptome einer chronischen Überexposition verursacht und wurde mit einem vermehrten Risiko für Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht.

2Grundlagen

2.1Beschreibung

Das Spurenelement Selen (Se) ist ernährungsphysiologisch unverzichtbar für die Gesundheit des Menschen. Es ist in verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten – in Getreide, Hülsenfrüchten, Fleisch und Fisch. Auch wenn ein Selenmangel mit verschiedenen Gesundheitsstörungen in Verbindung gebracht wird, ist zu bedenken, dass Selen in hohen Dosen toxisch ist. Selen kommt in der Natur in unterschiedlichen anorganischen Formen (z.B. Selenit, Selenat, Selenid) vor und tritt auch in organischen Verbindungen auf (z.B. Selenomethionin, Selenocystein) [1].

Einzelheiten zu Selen in der menschlichen Ernährung siehe CAM Summary ‘Selen in der Tumorprävention’.

2.2Terminologie

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2.3Zusammensetzung

Zur Behandlung von Selenmangel zugelassene Präparate enthalten Natriumselenit und sind flüssig als Lösung zur oralen oder intravenösen Verabreichung erhältlich. Darüber hinaus werden zahlreiche selenhaltige Nahrungsergänzungsmittel für medizinische oder gesundheitsfördernde Zwecke vermarktet. Sie enthalten entweder nur Selen (in anorganischer oder organischer Form) oder Selen in Kombination mit weiteren Spurenelementen sowie Vitaminen. Die Fermentation von Hefe in einem Medium mit einem hohen Anteil an anorganischem Selen ergibt Selenhefe, die 80–90% organisches Selen enthält, wie Selenomethionin, Se-Methylselenocystein und γ-Glutamyl-Se-Methylselenocystein [2].

2.4Anwendung

Selensupplemente werden in Form von Tabletten, Kapseln, und Lösungen zur oralen Verabreichung vertrieben. Selen-Monopräparate enthalten in der Regel 50–300 µg Selen pro Einzeldosis, die Kombipräparate meist 30–50µg.

Die Bioverfügbarkeit des aufgenommenen organischen und anorganischen Selens – in Abhängigkeit von Resorption, Verstoffwechslung und Ausscheidung – wird mit 50–90% angegeben, je nach Form des Selens und Art der Zubereitung

Selen als Nahrungsergänzung wird häufig in Dosierungen von 50–200 µg/Tag eingenommen. Die empfohlene Tagesdosis (RDA) beträgt für Erwachsene 55 µg und reicht aus, um den Se-Plasmaspiegel auf 1–1,2 µM zu erhöhen und die Glutathionperoxidase maximal anzuheben; die Obergrenze liegt bei 400 µg/Tag [3]. Zur Prävention und Behandlung von Nebenwirkungen einer Chemo- oder Strahlentherapie wurden sogar noch höhere Dosen empfohlen [4].

Fakih (2008) ging der Frage nach, ob die Selensupplementierung eine Steigerung der Irinotecan-Dosis über die verträgliche Maximaldosis (125 mg/m2 bei wöchentlicher Applikation) hinaus erlaubte [5]. Der primäre dosislimitierende Effekt von Irinotecan ist Diarrhoe. Diese Phase-1-Dosiseskalationsstudie zeigte, dass Selenomethionin (2.200 µg/Tag) keine sichere Dosiseskalation von Irinotecan erlaubte: bei 3 von 4 auswertbaren Studienteilnehmern kam es unter den erhöhten Dosen zu dosislimitierender Diarrhoe.

2.5Geschichte

Das chemische Element Selen wurde 1817 von dem schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius entdeckt. In den 1930er Jahren wurden die toxischen Eigenschaften von Selen an Rindern erkannt und 1957 wurde Selen als essentielles Spurenelement für Säugetiere identifiziert.

Das Element Selen wurde 1817 von dem schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius entdeckt. In den 1930er Jahren wurden die toxischen Eigenschaften von Selen an Rindern erkannt und 1957 wurde Selen als für Säugetiere essentieller Nährstoff identifiziert.

2.6Indikationen

Die Nahrungsergänzung mit Selen bei Tumorpatienten wird mit unterschiedlichen Zielsetzung empfohlen:

  • Steigerung der Wirksamkeit konventioneller Radio- und Chemotherapien im Rahmen der Tumorbehandlung

  • Prävention von Rezidiven oder Metastasen nach kompletter Remission

  • Prävention und Behandlung der unerwünschten Wirkungen konventioneller Tumortherapien

2.7Wirkmechanismen

Selen wird im menschlichen Organismus nach intestinaler Resorption an Selenproteine gebunden und entweder spezifisch in katalytisch aktive Selenenzyme oder unspezifisch in Gewebeproteine eingebaut [6].

Bislang wurden über 25 selenhaltige Enzyme identifiziert. Es werden mindestens zwei funktionelle Gruppen von Selenproteinen unterschieden. Die erste ist an Redoxprozessen im Gewebe beteiligt (Glutathionperoxidasen, Thioredoxinreduktasen), die zweite am Schilddrüsenhormonstoffwechsel (Jodthyronin-Dejodasen). Darüber hinaus werden verschiedene Selenproteine mit verschiedenen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht [7].

Selen werden antioxidative Eigenschaften zugeschrieben. Darunter versteht man Substanzen, die in der Lage sind, die Menge der instabilen und reaktiven Moleküle (freie Radikale bzw. reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS)) im Gewebe zu senken und somit das Gewebe vor ROS-induzierten Schäden zu schützen, das wiederum mit Entstehung von Tumorerkrankungen Auftreten von Nebenwirkungen konventioneler Tumortherapien in Verbindung gebracht wird [8].

2.8Verbreitung

Es gibt eingeschränkt repräsentative Daten zur Verwendung von Selenpräparate bei Tumorpatienten. Erhebungen aus Deutschland zufolge verwenden 4–10% der Krebskranken Selensupplemente [91011]. Eine systematische Übersicht über internationale Studien zum Einsatz von komplementärmedizinischen und alternative Heilmethoden bei Patienten mit Prostatakarzinom fand insgesamt 11 Studien, die den Einsatz von Selenpräparaten mit 4–27% bezifferten [12].

2.9Zulassung

Selen ist zwar nicht in allen, aber in den meisten Applikationsformen innerhalb der EU für den Einsatz bei Menschen frei erhältlich (Selenhefe ist es beispielsweise nicht, kann aber per Internet bezogen werden). Die zugelassenen Arzneimittel zur Behandlung von Selenmangel sind in den meisten europäischen Ländern innerhalb und außerhalb der EU rezeptfrei erhältlich, ein Rezept ist lediglich in Dänemark und Deutschland erforderlich (in Deutschland nur für Präparate mit mehr als 50 µg Selen) [13].

2.10Kosten

Die Kosten für 100 µg anorganisches Selen betragen bei Internetapotheken etwa 0,50 € (0,15–1,60 €), das entspricht etwa 15 € pro Monat.

Die Ausgaben für verschreibungspflichtige Präparate sind höher als für die rezeptfreien Nahrungsergänzungsmittel, dafür sind sie in einigen Ländern erstattungsfähig, sofern die Diagnose Selenmangel vorliegt.

3Wirksamkeit

3.1Tumortherapie und Senkung des Reszidivrisikos

Asfour et al. (2007) untersuchten die Verwendung von Natriumselenit in hohen Dosen zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms [14]. Insgesamt 50 Teilnehmer mit aggressivem Lymphom wurden in eine Behandlungsgruppe mit CHOP-28 plus Selen sowie eine Kontrollgruppe mit CHOP-28 alleine (CHOP: Cyclophosphamid, Vincristin, Adriamycin; Therapiezyklus: 28 Tage) randomisiert. Natriumselenit (200 µg/kg/Tag = ca. 14 mg/Tag bei einem Erwachsenen von 70 kg) wurde an jedem Tag des ersten Chemotherapiezyklus oral verabreicht. In der Selengruppe erreichten mehr Patienten komplette Remission als in der Kontrollgruppe (60% vs. 40%). Die Gesamtüberlebensrate nach zwei Jahren betrug 72% in der Kontrollgruppe und 80% in der Selengruppe (Unterschied statistisch nicht signifikant). Diese Ergebnisse lassen sich allerdings nur eingeschränkt auf andere Patienten übertragen, da der Bericht keine Informationen über den histologischen Lymphomtyp und die Verteilung der Risikofaktoren (z.B. International Prognostic Index) zwischen den beiden Gruppen enthält. Beide Parameter sind gute Prädiktoren für das Ansprechen auf eine Chemotherapie nach dem CHOP-Schema. Zu erwähnen wäre zudem auch, dass CHOP-28 in einkommensstarken Ländern nicht dem Therapiestandard für ein aggressives Lymphom entspricht.

Von Karp et al. (2010) stammt eine Placebo-kontrollierte, randomisierte Doppelblindstudie zur Prävention eines zweiten Primärtumors (ZPT) nach Resektion eines nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium I [15]. Die Verumgruppe wurde mit 200 µg Selenhefe täglich behandelt. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, nachdem eine Analyse der vorläufigen Ergebnisse von 1.522 Patienten hinsichtlich der Inzidenz eines ZPT und des progressionsfreien 5-Jahresüberlebens keinen Vorteil von Selen im Vergleich zu Placebo ergab. Nach 5 Jahren war es bei 28% in der Selengruppe und 22% in der Placebogruppe zu einer Progression gekommen.

Zusammengefasst ist also festzuhalten, dass keine ausreichend Evidenz vorliegt, um die Verwendung von Selen in der Behandlung von Tumorerkrankungen oder der Prävention von Rezidiven zu befürworten.

3.1.1Übersichtsarbeiten

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3.1.2Klinische Studien

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3.1.3Beobachtungstudien und Fallserien

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3.2Minderung von Therapienebenwirkungen

3.2.1 Übersichtsarbeiten

In einer Cochrane-Übersicht wurde die Verwendung von Selen als Monosupplement zur Vermeidung oder Linderung der Nebenwirkungen konventioneller Tumortherapien bewertet [16].

Gefunden wurden zwei randomisierte klinische Studien, in welchen Natriumselenit nach Tumorchirurgie zur Behandlung von Lymphödemen und zur Vermeidung eines Erysipels an den betroffenen Gliedmaßen verwendet wurde [1718]. Beide Studien wurden als Studien mit hohem Bias-Risiko eingestuft und die Autoren der Übersicht kamen zu dem Schluss, dass nicht klar sei, ob die berichtete Verringerung der Häufigkeit von postoperativem Lymphödem oder Erysipel in der Selengruppe klinisch relevant ist. Auch die Übertragbarkeit auf andere Krebspatienten wurde als fraglich beurteilt.

3.2.2Klinische Studien

In zwei randomisierten Studien wurde die Wirksamkeit von Natriumselenit zur Behandlung des Selenmangels bei Krebspatienten unter Strahlentherapie untersucht. Alle Studienteilnehmer hatten einen subklinischen Selenmangel (d.h. Selenspiegel im Vollblut unter 85 µg/l) und erhielten die Strahlentherapie wegen gynäkologischer Malignome (n = 81) [19] oder Karzinomen im Kopf- und Halsbereich (n = 39) mit oder ohne gleichzeitiger Selensupplementierung [2021]. Beide Studien berichteten als sekundäre Outcome-Parameter auch Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Strahlentherapie. Eine gepoolte Analyse beider Studien ergab, dass die Selenspiegel im Blut durch Selensupplementierung normalisiert wurden [22]. Bezüglich der sekundären Zielparameter stellte die gynäkologische Studie in der Selengruppe ein insgesamt verringertes Risiko für Diarrhoe fest (Grad 2 oder höher nach den Toxizitätskriterien des National Cancer Institute (Common Toxicity Criteria, version 2)). Hinsichtlich der Überlebensraten waren keine Unterschiede zu beobachten. Während die Häufigkeit von Stomatitiden in der Selengruppe höher war (36,4% vs. 23,5% in der behandelten im Vergleich zur nicht behandelten Gruppe), klagten die Teilnehmer, die Selen erhielten, seltener über ein beeinträchtigtes Geschmacksempfinden (22,7% vs. 47,1%) und Dysphagie (22,7% vs. 35,3%). Die Häufigkeit der Xerostomie war in beiden Gruppen vergleichbar (22,7% vs. 23,5%). Keiner dieser Unterschiede war statistisch signifikant.

Hu et al. (1997) bestimmten Biomarker für die Toxizität von Cisplatin anhand einer randomisierten Crossover-Studie mit 41 Patienten [23]. In der Behandlungsgruppe erhielten die Patienten über acht Tage täglich oral 4.000 µg Selen-Kappa-Carrageen (eine organische Selenverbindung, Carrageen ist ein Polysaccharid). Die Untersucher berichteten eine höhere Leukozytenzahl am Tag 14 nach der Chemotherapie und geringere Spiegel der Biomarker für Cisplatintoxizität im Urin bei der Gabe von Selen, und diskutierten eine Reduktion der Hämato-und Nephrotoxizität. Bei der Erythrozyten- und Thrombozytenzahl zeigten sich keine Unterschiede, während der Chemotherapiezyklen mit Selengabe wurden jedoch weniger Bluttransfusionen und G-CSF (ein Wachstumsfaktor für Leukozyten) verabreicht. Die Ergebnisse dieser Studie sind zwar interessant, doch ist ihre klinische Relevanz strittig. So wurden bei den Leukozytenzahlen Mittelwerte bei gleichzeitiger Gabe von G-CSF verglichen. G-CSF kann zu extrem hohen Leukozytenzahlen führen und Mittelwertvergleiche werden leicht durch Extremwerte gefährdet. Unterschiede bei den Biomarkern im Urin wurden 24 und 48 Stunden nach Applikation von Cisplatin, nicht aber 72 Stunden danach gefunden, zudem wurden die Biomarker im Blut und die Referenzbereiche des Labors nicht angegeben. Die Nephrotoxizität von Cisplatin hat eine akute Phase (die nach 2 oder 3 Tagen einsetzt) und eine verzögerte Phase (2 Wochen nach der Applikation), daher erscheint es fraglich, ob die untersuchten Biomarker das Auftreten dieser unerwünschten Wirkung adäquat wiedergibt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bezüglich der Supplementierung mit Selen eine Studie bei Frauen mit Strahlentherapie der Beckenregion einen klinischen Vorteil (weniger ausgeprägte Diarrhoe) berichtete. Weder die weiteren klinischen Studien noch eine systematische Übersichtsarbeit unterstützen die regelmäßige Verwendung von Selensupplementen während einer Tumortherapie.

In einer weiteren Studie ging Fakih (2008) der Frage nach, ob die Selensupplementierung eine Steigerung der Irinotecan-Dosis über die verträgliche Maximaldosis (125 mg/m2 bei wöchentlicher Applikation) hinaus erlaubte [5]. Der primäre dosislimitierende Effekt von Irinotecan ist Diarrhoe. Diese Phase-1-Dosiseskalationsstudie zeigte, dass Selenomethionin (2.200 µg/Tag) keine sichere Dosiseskalation von Irinotecan erlaubte: bei 3 von 4 auswertbaren Studienteilnehmern kam es unter den erhöhten Dosen zu dosislimitierender Diarrhoe [6].

3.2.3Beobachtungstudien und Fallserien

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4Sicherheit

4.1Nebenwirkungen

Erste Zeichen der Selentoxizität (knoblauchartiger Atemgeruch, Haar- und Nagelveränderungen, Magenbeschwerden) wurden bei Teilnehmern einer klinischen Studie beobachtet, die über bis zu 24 Monate täglich 1.600 µg oder 3.200 µg Selenhefe erhielten [24]. In der SELECT-Studie zur Krebsprävention mit Selen und Vitamin E (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) [25] in der täglich 200 µg Selenomethionin über 7–12 Jahre verwendet wurde, lag die Häufigkeit von Alopezie (Gesamtinzidenz 3% der Teilnehmer) und leichter Dermatitis (7% der Teilnehmer) höher als in der Placebogruppe (Steigerung des relativen Risikos jeweils +28% und +17%). Keine der Studien berichtete schwerwiegendere Nebenwirkungen oder Anzeichen einer chronischen Toxizität.

Fälle chronischer Selenvergiftung (Selenose) wurden in selenreichen Landstrichen Nordamerikas und Chinas beobachtet, aber auch handelsüblichen Selensupplementen zugeschrieben [24]. Die Symptome der Selenose sind Haarausfall, Nagelverdickung, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Parästhesien und Lähmungserscheinungen. Der wissenschaftliche Ausschuss „Lebensmittel“ der EU hält einen oberen Grenzwert (für Erwachsene) von 300 µg/Tag (einschließlich Nahrungsmittelergänzung) für akzeptabel, um eine Selenose zu vermeiden [26]. In den USA hat das für Nahrungsmittel und Ernährung zuständige Food and Nutrition Board des Institute of Medicine die Verträglichkeitsgrenze für die Selenzufuhr auf 400 µg/Tag festgelegt [3].

Es gibt allerdings Bedenken, dass die langfristige Supplementierung von Selen das Risiko für Typ-2-Diabetes mellitus in mit Selen gesättigten Populationen erhöhen kann. Das relative Risiko betrug bei männlichen Selenanwendern in der SELECT-Studie 1,07 (95% Konfidenzintervall (CI) 0,94–1,22) im Vergleich zu Placebo – das bedeutete, dass pro 1.000 Selenanwendern jährlich sechs zusätzliche Diabetesfälle hinzukamen (Diabetesrisiko +7% in der Selengruppe im Vergleich zu Placebo).[25] In der NPCT-Studie (Nutritional Prevention of Cancer Trial) lag das Risiko, Diabetes mellitus zu entwickeln, in der Selengruppe bei 1,55 (95% CI: 1,03–2,33), das bedeutete vier zusätzliche Diabetesfälle pro 1.000 Selenanwendern jährlich (Diabetesrisiko +55% in der Selengruppe) [27].

Eine letale oder nichtletale akute Vergiftung in Zusammenhang mit der Verwendung von Selen als komplementärmedizinische Maßnahme wurde in verschiedenen Fällen berichtet [2829]. Die letale Selendosis ist beim Menschen zwar nicht genau bekannt, wird aber auf zwischen 0,12 g und 1 g (120-1.000 mg) geschätzt [26]. Die akute Vergiftung kennzeichnet sich durch Erbrechen, knoblauchartigen Atem, Bauchschmerzen, Hypersalivation, Herzarrhythmie, Hämolyse, Lebernekrose, Zerebral- und Pulmonalödem, Koma und Tod [30].

4.2Kontraindikationen

Langfristig zu hohe Selenzufuhr (Selenose)

Laut NPCT-Studie kann Selen das Risiko eines Rezidivs von nicht-melanozytärem (hellem) Hautkrebs erhöhen. Daher kann die Selensupplementierung vor allem bei hellhäutigen Menschen problematisch sein [31].

4.3Interaktionen

Vitamin C kann die intestinale Resorption von Selen senken [32].

4.4 Warnung

Schwerwiegende Komplikationen wurden infolge Verwechslung der Einheiten Milligramm (mg) und Mikrogramm (µg) nicht nur durch Verbraucher, sondern auch durch Angehörige der Heilberufe gemeldet. Auch verschiedene Webseiten empfehlen irrtümlicherweise Selen in Milligramm statt Mikrogramm – die Einnahme solcher Mengen muss eine tausendfache Überdosierung zur Folge haben.

Es liegen keine kontrollierten Daten zu den Auswirkungen von Selenzusätzen bei Schwangeren oder stillenden Frauen ohne Selenmangel vor.

5Literatur

  1. Rayman MP, Infante HG, Sargent M: Food-chain selenium and human health: spotlight on speciation. Br J Nutr 100:238-253, 2008. DOI:10.1017/S0007114508922522

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  3. Summary Report of the Dietary Reference Intakes. The National Academies of Sciences/Engineering/Medicine. http://iom.edu/Activities/Nutrition/SummaryDRIs/~/media/Files/Activity%20Files/Nutrition/DRIs/ULs%20for%20Vitamins%20and%20Elements.pdf , accessed 13 August 2013

  4. Biologische Krebsabwehr: Selen. http://www.biokrebs-heidelberg.de/images/stories/download/Therapie_Infos/Selen.pdf (last access 29/06/2013).

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  23. Hu YJ, Chen Y, Zhang YQ et al.: The protective role of selenium on the toxicity of cisplatin-contained chemotherapy regimen in cancer patients. Biol Trace Elem Res 56:331-341, 1997. PMID:9197929

  24. Reid ME, Stratton MS, Lillico AJ et al.: A report of high-dose selenium supplementation: response and toxicities. J Trace Elem Med Biol 18:69-74, 2004. PMID:15487766

  25. Lippman SM, Klein EA, Goodman PJ, et al: Effect of selenium and vitamin E on risk of prostate cancer and other cancers: The Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). JAMA 2009; 301(1):39-51, 2009. DOI:10.1001/jama.2008.864

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6[Kapitel nicht relevant]

7[Kapitel nicht relevant]

8[Kapitel nicht relevant]

9[Kapitel nicht relevant]

10Anschriften der Experten

CAM-Cancer Consortium
NAFKAM - The National Research Center
in Complementary and Alternative Medicine
UiT The Arctic University of Norway
NO 9037 Tromsø
Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie - KOKON
Klinik für Innere Medizin 5, Schwerpunkt Onkologie/Hämatologie
Universitätsklinik der Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Klinikum Nürnberg
Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1
90419 Nürnberg

11Erklärungen zu möglichen Interessenskonflikten

KOKON wird gefördert durch die Deutsche Krebshilfe.

CAM-Cancer erhält finanzielle Unterstützung von der Krebsliga Schweiz und der Stiftung Krebsforschung Schweiz für die deutschen Übersetzungen.

12Mitwirkung

Das Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie – KOKON koordinierte den Prozess der Fachübersetzung. Die englische Originalversion übersetzten Martha Bohus und Ulrike Heiß, Conference Consulting, Interpreting and Translations, Königsbrunn. Die Begutachtung und Bearbeitung der deutschen Version erfolgte durch KOKON und wurde durch CAM-CANCER freigegeben.

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Reference:

Quellenangabe:

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